WM – Das Finale, in dem wirklich alles passieren konnte, nur eines nicht: dass Luke aus England nicht World Darts Champion 2024 würde

Alles war möglich in der Begegnung: Luke versus Luke. Nach extrem aufregenden und hochspannenden 15 Spieltagen, in denen nicht einmal ein winziger Augenblick der Langweile aufkommen wollte, wurde am 16. Spieltag der neue Weltmeister gekürt.

Da war auf der einen Seite Luke Humphries, der in seiner Entwicklung letztes Jahr nochmal einen riesigen Sprung gemacht hatte. Drei Major-Erfolge waren die Belohnung dafür. Und auf der anderen Seite Luke Littler, der in seiner Entwicklung von vorneherein einen Quantensprung gemacht hat: vom WM-Debütanten sprang er gleichmal ins WM-Finale.

Nach seinen Eindrücken dieser WM befragt, erklärte der 16-Jährige, dass er eigentlich nur die ganze Zeit mit Interview geben beschäftigt war, also gar keine Zeit hatte, weitere Eindrücke zu sammeln. Er war überrascht über das große Interesse, das ihm insbesondere von Seiten der sportlichen Prominenz zuteil wurde, am meisten freute er sich über eine Kurznachricht von David Beckham, der wohl Sohnemann Romeo heute zum Zuschauen in den Ally Pally entsandt hatte.

Luke Humphries unterstrich derweil zum wiederholten Male, dass nur „hard work“ plus die Unterstützung seiner Familie, ihn bis hierhin gebracht hatte. Und auch wenn „Cool Hand“ Luke immer freundlich auftritt, stellte er klar: „with a smile on your face constantly“, kommt man auch nicht weit. Mit Ausgewogenheit den Mittelweg finden, das ist das Patentrezept, das er für sich entdeckt hat. Außerdem „hard work“ und zusätzlich „hard work“ – der Erfolg ist ihm nicht in den Schoß gefallen. Und diese harte Arbeit wollte er heute auch mit dem WM-Titel vergolden.

Rückblick auf das deutsche Abschneiden bei dieser WM

Doch bevor wir uns der finalen Partie widmen, müssen wir zum Ende dieser Weltmeisterschaft natürlich auch nochmal eben die deutsche Brille aufsetzen und da einen gediegenen Rückblick wagen. Und der lohnt sich auch diesmal wieder, denn hieraus resultiert die mehr als zufriedenstellende Erkenntnis, dass Deutschland auf dem besten Wege ist, eine Darts-Vormachtstellung einzunehmen. Wir konnten für diese WM fünf Starter generieren, davon haben vier Teilnehmer ebenso überragend wie rekordverdächtig die dritte Runde erreicht. Ein deutsches Quartett nach Weihnachten, das hatte es vorher noch nicht gegeben.

Besonders hervorheben muss man hier die hart umkämpfte Schlacht, die sich Martin Schindler mit Scott Williams geliefert hatte, insbesondere in Anbetracht dessen, dass der Engländer in der nächsten Runde weit weniger Mühe hatte, den Topfavoriten Michael van Gerwen abzuservieren und damit ins Halbfinale einzuziehen. Damit bekommt das Einbrechen von „The Wall“ gleich nochmal einen ganz anderen Blickwinkel. Aber auch das Comeback von Florian Hempel in seinem Zweitrundenmatch gegen Dimitri Van den Bergh konnte sich mehr als sehen lassen. Was demonstrierte der „Kölsche Jung“ da für enorme Nehmerqualität, indem er diese mit genialer Willensstärke in „Austeil-Qualität“ umzuwandeln wusste?! Wie Flo Hempel mit einem 151er-Checkout aus dem Nichts den Wendepunkt herbeizauberte, das hatte schon etwas von Magie. In der dritten Runde lediglich von einem an diesem Tag schier unschlagbaren Stephen Bunting bezwungen, bewies der gebürtige Dessauer trotz Niederlage, dass die Formkurve wieder eindeutig Richtung oben marschiert. Auch Ricardo Pietreczko zeigte, vor allem als einziger WM-Debütant unter den Deutschen, dass er weiterhin an seine diesjährig – Moment, nein, ich muss mich korrigieren – an seine letztjährig herausragenden Performances anknüpfen konnte. In absolut überzeugender Manier hatte er erst Mikuru Suzuki, (die japanische Spitzenspielerin mit dem, nach meinem persönlichen(!) Geschmack motivierendsten Walk-on Auftritt), und danach Callan Rydz besiegt. Auch im Duell gegen Luke Humphries vermochte es „Pikachu“ brillantes Darts ans Bord zu hämmern, ging gegen den mittlerweile Weltranglistenersten sogar mit 3:1 in Führung. Aber, was soll ich sagen? Es ist halt Luke Humphries, und der steht nach seinem überragenden Auftritt gestern Abend, wo er mit über 108 im Average, nach Phil Taylor und Michael van Gerwen, den dritthöchsten Average ever in einem WM-Halbfinale ans Bord genagelt hatte, heute Abend im Finale. Wie „Cool Hand“ Luke die Wende gegen den gebürtigen Berliner noch geschafft hat? Keine Ahnung! Aber genauso wenig weiß ich, von welchem Planeten dieser „Darts-Alien“ abstammt, wenn er sich einfach mal so ganz nebenbei, extrem cool auf die Nummer Eins der Order of Merit beamt. Nein, die Niederlage von „Pikachu“ gegen den heutigen Finalisten kann man nicht einfach in die Misserfolgsschublade stecken. Jenes Aus in der dritten Runde muss man ebenso wie die verlorenen Matches der anderen Deutschen individuell näher beleuchten. Auch dass Gabriel Clemens in der Drittrundenpartie seine eigentlichen Leistungen nicht mehr abrufen konnte, ändert nichts an der Tatsache, dass er im Zweitrundenduell mit absoluter Dominanz Man Lok Leung, der seinerseits in seinem Auftaktspiel mit elfmal der 180 in einem Erstrundenmatch für Furore gesorgt hatte. Auch der Blick zurück auf die Players Championship Finals, wo der „German Giant“ das Halbfinale erreicht hatte, beweist eindeutig, dass der Saarländer in seinem Duell gegen Dave Chisnall, der ja auch alles andere als ein No-Name ist, lediglich einen schlechten Tag erwischt hatte. Die Tatsache, dass „Gaga“ Clemens bei der WM 2023 mit überragenden Performances das WM-Halbfinale erreichte, mag die Erwartungen dieses Jahr eventuell auch ein wenig überhöht haben. Dartspieler sind Menschen und keine Maschinen! Auch wenn Luke Humphries einen momentan an dieser Behauptung zweifeln lässt. Der andere Deutsche, der ausgerechnet in London nicht an seine wahrhaftigen Leistungen herankam, war Dragutin Horvat. Dabei hatte sich der Mann aus Kassel gerade für dieses Mal vorgenommen, den Auftritt im Ally Pally einfach zu genießen, was ihm bei seinem WM-Debüt-Match 2017 nicht gelungen war. „Ich könnt` aus der Hose hüpfen!“ Keiner ärgerte sich mehr, als der „Herkules“ selbst, dass er sieben Jahre später nicht in der Lage war, auch nur annährend an die Leistung seiner Super League-Performances, mit denen er ja auch die Qualifikation geschafft hatte, anknüpfen konnte. Alles in allem lässt sich nicht erst seit dieser WM dennoch eine Sache konstatieren: Deutschland ist jetzt bereits eine absolut ernst zu nehmende Dartsnation. Jeder unserer deutschen Dartsprofis ist unstrittig in der Lage, internationale Weltklassenamen zu schlagen.

Zurück zum heutigen Finale

An diesem Abend bekam die Dartswelt auch noch ein verspätetes Weihnachtsgeschenk nachgereicht: Russ Bray würde sein 14. WM-Finale und zwar exklusiv über die ganze Distanz schiedsrichten. Sein erstes WM-Finale hatte er 1999 gecallt, sein bislang letztes 2020. Es sollte sein letzter „WM Call“ werden, denn die Kultstimme nimmt Abschied vom „Professional Darts Circus“ (ja, ich weiß, das „C“ steht eigentlich für „Corporation“).

Apropos PDC, der CEO (Chief of Executive), Matthew Porter, der seit Anfang 2008, neben Barry Hearn, der zweitwichtigste Entscheidungsträger ist, hatte angekündigt, dass schon am morgigen Tag die Teilnehmer der Premier League 2024 bekannt gegeben würden. Auf die Frage hin, ob Luke Littler einer der Namen sei, die morgen genannt würden, verwies Matthew Porter auf den Fakt, dass Luke Littler bis dahin zwar 17 Jahre jung geworden sei, aber der Druck und die Anstrengung, über Monate, Woche für Woche, bei einem Prestige-Turnier wie der Premier League, mit so vielen Zusehern und medialer Aufmerksamkeit, die maximale Höchstleistung bringen zu müssen, einem so jungen Spieler auch schaden können. Weiter gebohrt, was denn sei, wenn Luke Littler heute Abend tatsächlich Weltmeister würde, ließ sich der PDC CEO abermals nicht aus der Reserve locken: „Wie gesagt, wir haben viel darüber diskutiert und gesprochen und wir werden so entscheiden, wie es für den Spieler selbst am besten ist.“ Übersetzt heißt das: Das Geheimnis wird auf keinen Fall heute preisgegeben, keiner erfährt etwas vor dem morgigen Tag! Was sich Matthew Porter vom Finalmatch erwarte? Am liebsten ein 7:6! Denn nach diesem aufregenden WM-Verlauf hätten die Zuschauer auch „the cherry on top of the cake“ verdient. Und obwohl der Chief of Executive sonst eher zurückhaltend ist, was die Voraussagen betrifft, wer gewinnen wird, war Matthew Porter diesmal doch bereit, sich festzulegen: „Luke“.

Und dann begaben sich die drei Hauptdarsteller im letzten Akt auf die Bühne

Nochmal zu Russ Bray zurück, der demnächst auch in der „Hall of Fame“ zu bewundern sein wird. Der Caller hatte ihm Vorfeld zugegeben, dass er den Abend mit einem lachenden und einen weinenden Auge begehe. Natürlich wird ihm das Ausrufen der „One Huuuundred and Eighty“ im Ally Pally fehlen, aber er befand dies auch als besten Zeitpunkt für den Abschied. Besonders stolz war Russ Bray darauf, dass er seiner eigenen Ansicht nach, nie zu den besten Callern gehörte und dennoch dieses Renommee und diese unglaubliche Popularität erreichen konnte.

Und dann hörte man John McDonald auch schon „The New Number One in the World Ranking” ankündigen. Dass bei einer solchen Ankündigung auch einzelne Buhrufe vernehmbar waren, musste man eigentlich schon fast als verstörend empfinden, trotzdem versuchte sich der „Master of Ceremonies“ standhaft nicht aus dem Takt bringen zu lassen. Luke Humphries war, ebenso wie gestern Rob Cross, wohl von vorne herein bewusst, dass die Menge heute die Vollendung des größten Darts-Märchens sehen wollte, doch er konnte sich bald damit trösten, dass seine eigene Fan-Gemeinde die Unkenrufe übertönte.

Wer sich heute Abend die WM-Krone aufsetzen lassen wollte, musste als erster sieben Sets für sich verbuchen, d.h. das Finale entschied der Best-of-13-Sets-Modus.

Das Ausbullen hatte Luke Littler gewonnen, der servierte sich im ersten Durchgang auch gleich den optimalen Set-up-Shot (124) und das 1:0 war problemlos ausgemacht. Den zweiten Durchgang begann Luke Humphries mit der maximalen Auslastung des Triple-20-Segments und startete damit den heutigen Reigen der 180er. Danach griff er sich auch sein Leg, Ausgleich zum 1:1. Im dritten Durchgang räumte „Cool Hand“ Luke das Leg mit gewohnt lässiger Wurfbewegung und Break ab, 2:1. Obgleich „The Nuke“ im vierten Durchgang ebenfalls mit seiner ersten 180 aufwartete, konnte er nicht verhindern, dass Humphries das Break bestätigte und somit 1:0 in Sätzen in Front ging.

Im ersten Durchgang des zweiten Sets war wieder mal der „Humphries-Express“ in Fahrt gekommen: 135 – 137 – 180 – 49, der 11-Darter wusste zu beeindrucken, 1:0. Das zweite Leg begann der dreifache Major-Titelträger mit der 180, und auch wenn er letztendlich drei Breakdarts benötigte, das 2:0 gegen den Anwurf war eingetütet. Hatte man sich bis zu diesem Zeitpunkt an den Luke Humphries von gestern erinnert, so war nun der Punkt gekommen, bei dem man sich auch so ein klein wenig in das gestrige Littler-Match zurück projiziert fühlte. Wie gestern hatte es der Juniorenweltmeister auch heute bis hierhin geruhsam angehen lassen und ein gewisses Aufwärmprogramm absolviert, bevor er richtig durchstartete. Im dritten Durchgang ließ Luke Humphries einen Legdart liegen, das war einer zu viel. Luke Littler holte sich das Re-Break, 1:2. Schon im vierten Durchgang drehte der Shooting-Star richtig auf, High-Finish, 142 (T20, T20, D11), damit war das Break bestätigt und der Ausgleich erzielt. 2:2. Das nächste Break holte sich Littler im nächsten Leg mit dem nächsten High-Finish und das war das „Shanghai-Finish“. 1:1-Satzausgleich.

Inzwischen war auch der „Littler-Express“ ins Rollen gekommen. Im ersten Leg des dritten Sets stellte er sich mit seiner vorletzten Aufnahme Triple-20, 20, Bullseye (130), die Restforderung von 80 Punkten beim nächsten Gang ans Oche unmittelbar herausgenommen, 1:0. Im zweiten Durchgang servierte sich der 16-Jährige mit der 177 den perfekten Set-up-Shot, 40 Rest – kein Thema. 2:0. Luke Humphries begann den dritten Durchgang mit seiner nächsten 180, der Anschluss zum 1:2 war rasch hergestellt. Natürlich hatte der neue Weltranglistenerste auch diesen Satz noch lange nicht abgehakt, präsentierte im vierten Durchgang auch gleich sein nächstes High-Finish, 116 (20, T20, D18), glich damit zum 2:2 aus. Und so wie Luke Littler im zweiten Satz einen 0:2-Legrückstand noch in den Satzgewinn gewandelt hatte, sah man hier dasselbe Szenario mit umgekehrten Vorzeichen. Im Decider gelang „Cool Hand“ Luke ein weiteres Break, d. h. hier drehte Luke Humphries seinerseits den 0:2-Rückstand in Legs in die 2:1-Satzführung.

Das vierte Set begann Littler abermals mit zwei Leggewinnen in Folge, 2:0. Auch hier holte Humphries noch den Anschluss zum 1:2, aber diesmal zog der Nachwuchsspieler seinen Vorsprung durch. Aus der Tatsache, dass er fünf Legdarts benötigte, um 30 Punkte auszumachen, konnte der Gegner keinerlei Kapital schlagen, 2:2-Satzausgleich.

Die ersten beiden Durchgänge des fünften Satzes starteten beide mit der 180 (man konnte schon kaum mehr mitzählen, die wievielte perfekte Aufnahme das jeweils war), beide hielten ihren Anwurf, 1:1. Im dritten Satz brauchte Luke Littler abermals fünf Legdarts, um die 16 auszuradieren und seinen Anwurf zu halten, Humphries konnte auch daraus wieder nicht profitieren, 2:1 für den Nachwuchsstar. Und im vierten Durchgang ließ Littler dann gar nichts mehr anbrennen, 3:2-Satzführung.

Keiner ließ dem anderen auch nur einen Millimeter Platz zum Atmen, es ging Schlag auf Schlag, das Niveau konnte man nur mit einem Begriff umschreiben: Weltklasse!

Ins sechste Set startete Luke Littler einmal mehr mit Break, 1:0. Der zweite Durchgang erinnerte wieder so ein bisschen an das gestrige Littler/Cross Match. Luke Humphries begann das Leg mit sechs perfekten Darts, aber Luke Littler holte das Leg. Bei der Marke 141 angekommen, schienen alle Triple-Felder für Humphries auf einmal ihre Tore geschlossen zu haben, und während er sukzessive den Weg herunterschlich, nutzte Littler seinen vierten Legdart zum 2:0. Im dritten Durchgang kam dann auch ein bisschen „Bad Luck“ hinzu, „Cool Hand“ Luke war auf dem besten Wege, die x-te 180 zu erzielen, doch nachdem alle drei Pfeile bereits das Triple-20-Segment geküsst hatten, landeten 120 Punkte wieder auf dem Boden. Hätte Humphries in jenem Leg schlussendlich wenigstens noch die 80 gelöscht, so wäre ihm zumindest die Verlängerung in diesem Satz dennoch sicher gewesen, doch die 75 herausgenommen Punkte reichten für dieses Vorhaben nicht aus. Diesmal benötigte „The Nuke“ vier Legdarts, um die 16 zu löschen, die 4:2-Satzführung war dennoch unabwendbar.

Nachdem Luke Humphries im gestrigen Halbfinale bereits den „Big Fish“ gezogen hatte, gelang ihm dieser „Anglertriumph“ heute auch im Finale. Im ersten Durchgang des siebten Sets eliminierte „Cool Hand“ Luke die 170 Punkte, die ihm das Break zum 1:0 bescherten. Auch im zweiten Durchgang präsentierte Luke Humphries außerordentliche Aufnahmen von 180 – 134 – 171. Und dann scheiterte er mit drei Darts in der Hand an einer so profanen Summe wie der 16. Auf der anderen Seite bewies „The Nuke“, dass solide Beständigkeit sich auch oft genug ausbezahlt: 140 – 137 – 140 – 84, das Re-Break und der 1:1-Ausgleich war hergestellt. Doch Humphries war nicht in der Stimmung, die Break-Serie widerstandlos abbrechen zu lassen, 2:1. Das gleiche galt für Luke Littler, auch er war weiterhin in Breaklaune, holte den vierten Durchgang gar wieder mit High-Finish, 122 (T18, T18, D7), Ausgleich 2:2.

Diesen Moment würde Luke Humphries später als Wendepunkt des Matches bezeichnen

Im Decider hatte der Jugendweltmeister dann die einmalige Chance auf 5:2 in Sätzen davonzuziehen. Dazu bedurfte es eines weiteren High-Finishes UND er war auf dem besten Wege dorthin. 112 Punkte vor Augen, versenkte Luke Littler mit absoluter Treffsicherheit zwei Darts in der Triple-18. Die Double-2 noch, und er wäre mit einem Drei-Satz-Vorsprung nur noch zwei Sätze vom Weltmeistertitel entfernt gewesen. Doch alles „hätte-wäre-wenn“ half nichts, denn der Pfeil schrammte haarscharf an der Double-2 vorbei. Dieser Moment hatte in gewissem Maße sowieso etwas Surreales gehabt. Nachdem der junge Engländer 108 der 112 Punkte gelöscht hatte, musste er Russ Bray fragen, welcher Betrag übrig geblieben war. Wann war es jemals vorgekommen, dass Luke Littler nicht wusste, wo er stand? Daran konnte sich wohl keiner mehr erinnern. Und das Kurioseste war, dass der Nachwuchsspieler den verbliebenen Betrag gar nicht so richtig glauben konnte. Immer noch leicht skeptisch, peilte er sichtlich unentschieden, die Double-2 an, verfehlte möglicherweise auch aufgrund dieser Zweifel. Auf der anderen Seite nutzte „Cool Hand“ Luke seinen perfekten Set-up-Shot (180), um mit dem nachfolgenden Wurf die Double-14 abzuschießen. Damit hatte der dreifache Major-Gewinner den 3:4-Satzanschluss sichergestellt.

Im achten Satz war Luke Humphries wieder komplett in seinen Flow zurückgekehrt, räumte die ersten beiden Durchgänge ab, 2:0. Ab Durchgang Drei hatte Luke Littler die Irrungen und Wirrungen des letzten Sets, die ihn zu Beginn des achten Sets gedanklich womöglich noch etwas beschäftigt hatten, wieder hinter sich gelassen, und ging gewohnt guter Dinge, die 121 an. O.k., das Bullseye wollte nicht so, wie er wollte, das Leg holte er sich trotzdem, 1:2. Aber „Cool Hand“ Luke hatte inzwischen wirklich alle Düsen aufgedreht, verwandelte Druck rasanter in Geschwindigkeit, als man gucken konnte. Im vierten Durchgang donnerte er zunächst zweimal die 140 ins Board, ließ dem die 100 folgen, um dann mit 20, Triple-17 und Bullseye die verbliebenen 121 auszumachen. Der Satzanschluss war fixiert, das Match damit wieder komplett offen. 4:4.

Dachte man da schon, Luke Humphries sei bereits „on fire“, so konnte man nun regelrecht zusehen, wie er den Turbo erst richtig zündete. Neunter Satz: „Cool Hand“ Luke begann das Set mit High-Finish. Die 108 radierte er mit Triple-19, 19 und Double-16 aus und ging 1:0 in Front. Dann spulte er das Band zurück respektive drückte die Replay-Taste, und erneut sah man ihn die Triple-19, 19, Double-16 ausmachen. 108 gelöschte Punkte zum 2:0. Luke Littler war natürlich auch immer noch im Match, hatte nur etwas von der Lockerheit verloren, die vorher Leggewinne zur Selbstverständlichkeit avancieren ließ. Im dritten Durchgang brauchte er fünf Legdarts, Humphries war jedoch kurz zum Nachtanken abgebogen, die Zeit genügte dem Shooting-Star, um sich den 1:2-Anschluss zu sichern. Im vierten Durchgang hatte sich Humphries einmal mehr beständig runter gescort, um dann an der 16 zu scheitern. Déjà-vu, das hatten wir heute auch schon das eine oder andere Mal. Littler sagte Danke und holte sich den Ausgleich, 2:2. Doch wie so oft bei dieser WM, wenn es darauf ankam, war Luke Humphries da. Und wie überzeugend er da war! 180 – 140 – 145 – 36, mit diesem 11-Darter im Decider, besiegelte er die 5:4-Satzführung.

Nach einem 2:4-Satzrückstand war „Cool Hand“ Luke nun wieder vorne. Dass der 28-Jährige aus Newbury, als der deutlich Erfahrenere, diese Führung heute auch nicht mehr abgeben wollte, machte er gleich im ersten Durchgang des zehnten Sets deutlich, 1:0. Dass sich der 16-Jährige aus Runcorn, als der deutlich Unerfahrenere, dieser Meinung in keiner Weise anschließen wollte, machte er im zweiten Durchgang gar noch um einiges deutlicher. Auch Luke Littler zog in diesem Finale den „Big Fish“. Die 170 mit unglaublicher Nonchalance abgeschossen, das war das 1:1. Wie effektiv würde sich der „Big Fish“ in der Rolle des Wirkungstreffers darstellen? Würde dieses markante Ausrufezeichen nun gar den nächsten Wendepunkt im Match einleiten? Luke Humphries war diesbezüglich offenbar nicht überzeugt. Denn außer einem anerkennenden Nicken, schenkte er seinem Kontrahenten nichts mehr. Und als dieser im dritten Durchgang beim Versuch, das 124er-High-Finish herauszunehmen, diesmal das Bullseye und damit auch das Break verfehlte, griff sich Humphries nicht nur das Leg, sondern mit 180 – 140 – 145 – 36 seinerseits das Break im vierten Durchgang. 6:4-Satzführung.

Der neue Weltranglistenerste war nur noch einen Satzgewinn davon entfernt, auch der neue Weltmeister zu werden

Für Luke Littler galt es, dies mit allen Mitteln zu verhindern, daher ging er im elften Set erstmal 1:0 in Front. Doch Humphries zeigte keinerlei Bereitschaft, hier auch nur ein My klein beizugeben, spielte im zweiten Durchgang bereits seine 22.(!) 180 (ja, wir sprechen hier nur von diesem Match) und glich zum 1:1 aus. Im dritten Durchgang Luke Littler mit seiner zwölften 180, auch das war eine beachtliche Zahl, nicht zuletzt weil jede 180 auch dem guten Zweck half. Für jede geworfene 180 bei dieser WM wurden 1.000 GBP an die Stiftung, Prostate Cancer UK überwiesen. „The Nuke“ holte sich sein Leg, ging 2:1 nach vorne. Im vierten Durchgang erzielte Littler bei seiner letzten Aufnahme auch noch zum 13. Mal in diesem Spiel die 180. Die Tatsache, dass dies in jenem Leg jedoch die einzigen drei Darts waren, die Luke Littler im Triple-Feld unterbringen konnte, brachte den Gegner in die angenehme Lage, trotz einer zwischendurch eingestreuten Aufnahme von mageren 26 Punkten, das Leg vollkommen ungefährdet herauszunehmen. 2:2. Es ging ins fünfte Leg und das war der Decider, der bereits über Sieg, Titel oder Niederlage entscheiden sollte. Littler hatte Anwurf und mit 134, zweimal der 100 und der 139 seine denkbar kurze Triple-Schwäche glücklicherweise schon wieder überwunden gehabt. Aber als es ihm schließlich nicht gelingen wollte, der verbliebenen 28 Punkte Herr zu werden, sollte jenes Missgeschick zum abrupten Ende führen. Auf der anderen Seite befand es Luke Humphries als idealen Zeitpunkt, sein 23. Maximum ins Board zu hämmern, auch sonst zeigte er so gut wie keine Unsicherheiten. Gut, er traf versehentlich zweimal das Bullseye in Folge, das ist nicht nach Plan gelaufen. Warum das nicht optimal war? Weil er vorher auf der 125 stand. Hier hätte erst der dritte Dart wieder in die 50 gehört. Bei 25 Rest nützt einem der dritte Pfeil in der Hand nicht mehr allzu viel, besonders wenn der Gegner bereits zum Auschecken bereit steht. „Cool Hand“ Luke nahm`s mit einem Lächeln. „Wo ist die 50, wenn man sie wirklich braucht?“ Doch irgendwie hatte man bei Humphries das Gefühl, dass er sich seiner Sache mittlerweile relativ sicher war, auch wenn er hier „zu gut“ getroffen hatte. Aber, wie gesagt, Luke Littler konnte seine letzte Chance nicht nutzen. Gegen den Anwurf besiegelte der neue Weltranglistenerste seinen ersten Weltmeistertitel. 7:4. Congratulations, Luke Humphries!

Luke Humphries 7:4 Luke Littler
103,67 Average 101,13
23 180s 13
170 High-Finish 170
5 100+ Checkouts 4
25/58 Finishing 23/63

Aber auch Gratulation an den Jugendweltmeister und nun auch Vizeweltmeister, der hier unfassbar genial ans Oche getreten war, unzählige Rekorde im Vorbeigehen weggewischt und abermals über 101 im Average gespielt hatte. Und das über diese Distanz und das als WM-Debütant und das mit 16 Jahren und das in einem WM Finale … Luke Littler hat so ziemlich alles gesprengt, was es an Superlativen gibt. Und dabei war er, wie er mehrfach betont hatte, bei dieser WM in der Annahme angetreten, ein Spiel zu gewinnen und dann wieder nach Hause zu fahren. Es war nicht ein Spiel, es waren sechs Spiele, die er gewonnen hat, und diese Siege haben ihn bis ins WM-Finale getragen. Und dann applaudiert und gratuliert er seinem Bezwinger auch noch mit so unglaublicher Reife in Gesichtsausdruck, Gestik und Worten. Ich bitte um unbedingte Überprüfung der Geburtsurkunde! Nie und nimmer ist der Kerl erst 16!

Wenn Luke Littlers Name bei der morgigen Bekanntgabe der Teilnehmerschaft für die kommende Premier League nicht fällt, werden wir möglicherweise nie erfahren, ob sich das im Falle des WM-Titelgewinns noch geändert hätte. Wer jedoch Matthew Porter vor dem Finale genau beobachtet hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Finalausgang in diesem Fall keine Rolle spielen würde. Ich persönlich bin jedenfalls überzeugt, dass unabhängig davon, ob der junge Engländer nun Weltmeister oder Vizeweltmeister geworden ist, diese Entscheidung bereits vorher definitiv gefallen war. Was nicht heißen soll, dass er nicht trotzdem dabei sein wird. Wie auch immer, die Verantwortlichen, und das hat der CEO mehrfach glaubhaft betont, haben im Fall „Luke Littler“, das Wohlergehen des 16-jährigen Spielers als oberstes Entscheidungskriterium genommen.

Ein Fenster hat sich geöffnet, während sich auch eine Tür geschlossen hat

Doch bevor wir den neuen Weltmeister unter die Lupe nehmen, müssen wir noch einen Blick auf den werfen, der zum Bedauern vieler …, nein, falsch, – der zum Bedauern aller Dartsliebhaber heute als Caller seinen Hut genommen hat und sein Mikrophon an den berühmten Nagel hängt, zumindest was die professionellen Turniere betrifft. Es war ihm eine große Freude, gerade dieses Finale callen zu dürfen, er bedauerte es, bei künftigen Littler-Spielen nicht die „One Hundred And Eigthy“ ausrufen zu können. Trotzdem zeigte sich Russ Bray zufrieden mit dem Ausgang des Matches, denn er hatte die Entwicklung von Luke Humphries, mal aus der Nähe, mal aus der Ferne, stets im Auge behalten und ihm schon im Herbst des letzten Jahre prophezeit, dass er dieses Jahr für den WM-Titel reif sei. Das erklärte der sympathische Caller in seiner typisch umgänglichen Art und eines ist zu Einhundert und Achtzig Prozent sicher: diese Stimme wird uns fehlen!

Wenn morgen die Bekanntgabe für die Premier League 2024 erfolgt, ist es natürlich fraglos, dass der andere Luke im Starterfeld auftaucht und zwar an erster Stelle. Nachdem der entthronte Michael Smith auch die Position an der Spitze der Weltrangliste nach exakt einem Jahr wieder räumen musste, sind alle gespannt darauf, wie die Ranglistenentwicklung weitergehen wird. Nicht wenige Experten meinen, dass sich Luke Humphries sehr lange auf Platz Eins einnisten wird. Doch der Engländer, der nach seinem Sieg ohne Zweifel überglücklich war, wirkte im anschließenden Interview schon wieder ungemein aufgeräumt, als er diesbezüglich eher Skepsis verlauten ließ. Der frisch gekürte Weltmeister glaubt, dass die Qualität an der Spitze momentan so breit gefächert ist, dass es keinesfalls zu einer weiteren, langjährigen Alleinherrschaft eines Einzelnen kommen wird, so wie wir das aus den Zeiten der Phil Taylor- oder Michael van Gerwen-Regentschaft kennen. Dieser Weltmeistertitel ist für „Cool Hand“ Luke nur die Basis, auf der er aufbauen will, worauf er sich fortdauernd entwickeln möchte, um dann natürlich auch weitere Major-Triumphe einzusammeln. Genauso hatte er es auch nach der Entgegennahme seiner letztjährigen drei Major-Trophäen zum Ausdruck gebracht, wobei er es da als eine Art Reifeprüfung bezeichnet hatte, er war bereit für die nächsten Titel und exakt das ist er weiterhin. Luke Humphries vergaß jedoch auch nicht, zu betonen, dass er im heutigen Finale zwischendurch dachte, er müsse sich beeilen, diesen WM-Titel einzuholen, bevor Luke Littler in den nächsten Jahren keinen anderen mehr ranlasse. Schöne Aussicht – die Szene ist also gewarnt.

Das Jahr 2024 hat gerade erst begonnen, da ist die World Darts Championship 2024 auch schon wieder vorbei. Aber um ein letztes Mal Gabriel Clemens zu zitieren: „Morgen geht die Sonne auch wieder auf!“ – In diesem Sinne: stay bright, nice flight.

Fotos © PDC @ Darts1

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