WM 2024 – 15. Spieltag: die Halbfinals ergaben, Luke wird Weltmeister! Nur welcher?

Nein, ich kann keine Gedanken lesen. Trotzdem meine ich, in Michael van Gerwens Gesichtsausdruck beim gestrigen Bühnenabgang nach der Niederlage folgende Überlegung erkannt zu haben: „Dan had ik liever de jaarwisseling met de familie gevierd.“ Für die wenigen unter euch, die die niederländische Sprache nicht perfekt beherrschen, übersetze ich es auch gerne: „Da hätte ich den Neujahrswechsel auch daheim mit der Familie feiern können“. Wie gesagt, dieser Gedanke ist „MvG“ natürlich nur in den Mund gelegt, aber ich glaube halt einfach auch nicht, dass ein WM-Viertelfinale für einen Michael van Gerwen jegliche Bedeutung hat! Möglicherweise, natürlich nur möglicherweise(!), hätte die potentielle „Endstation Viertelfinale“ einen Scott Williams, (vielleicht auch erst mit etwas Abstand), auf jeden Fall ursprünglich und zumindest in irgendeiner Form, einigermaßen „happy“ gemacht. Natürlich nicht mehr, nachdem er schon mal gegen „Mighty Mike“ in Führung lag. Denn sobald „Shaggy“ einmal die Witterung aufgenommen hatte, musste der dreifache Weltmeister auch erlegt werden – etwas anderes hätte auch Scott Williams dann nicht mehr „happy“ gemacht. Schon zu Beginn der Partie hatte er die 1:0-Satzführung an sich gerissen, da hatte er bereits Blut geleckt. O.k., da war ein solcher Sieg trotzdem noch lange nicht abzusehen. Nicht einmal, als er den Matchdart in der Hand hielt, hätte man mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten können, dass er das durchzuziehen vermag. Nach der ersten Satzführung, glich der Niederländer auch umgehend aus, Williams zog abermals auf 2:1 davon, und wieder war Michael van Gerwen für den Ausgleich zur Stelle. Der ging dann auch seinerseits 3:2 in Front. Zu diesem Zeitpunkt meinte man schon: so, jetzt ist „MvG“ aufgewacht, das war`s nun für den Engländer. Doch weit gefehlt! In Bayern würde man sagen: „Pfiffkas!“ Zu Deutsch: Von wegen! Falsch gedacht! Im Gegenteil, das sollte der letzte Satzgewinn für den dreimaligen Weltmeister gewesen sein. Denn unzählige Würfe am Doppel vorbei, sorgten dafür, dass der haushohe Favorit, Michael van Gerwen, buchstäblich nur zusehen konnte, wie statt seiner, der glasklare Underdog in diesem Match, Scott Williams, die nächsten drei Sets in einem Rutsch abräumte. 5:3 für „Shaggy“ Scott Williams gegen „Mighty Mike“ – was für ein Darts-Erdbeben! Falls Anderson-Junior nach Daddys Ausscheiden das alte van Gerwen-Trikot erneut rausgekramt haben sollte … – das kann er jetzt auch wieder wegpacken. Scott Williams machte vor dem Spiel heute seine weiteren Ambitionen publik: die To-10. Warum auch nicht?! War im gestrigen Interview mit „Shaggy“ noch das Wort „Happy“ vorherrschend, wurde diese Dominanz heute vom Begriff „relaxed“ verdrängt. Er genoss auch in gewisser Weise, dass alle Aufmerksamkeit auf Luke Littler ruhe und er persönlich so ein bisschen unter dem Radar laufe. Wenn der wüsste, wie aufmerksam wir ihn beobachten!

Obwohl es am Vortag „nur“ vier Matches waren, hatte man den Eindruck, dass der gestrige Ereignisreichtum alles bisherige nochmal überbieten konnte. Und wer bitte hätte nach dessen vorausgegangenen Spielen gedacht, dass ausgerechnet das Luke Humphries-Match, die nervenschonendste Partie der Viertelfinals sein würde? „Cool Hand“ Luke behielt diesmal seine coole Hand das ganze Spiel über gleichbleibend ruhig. Erst im Herbst 2023 konnte Luke Humphries seine ersten drei Major-Erfolge feiern. Dave Chisnall wartet hingegen noch immer vergeblich auf seinen ersten Major-Triumph. „Chizzy“ ist übrigens auch der einzige aus dem diesjährigen St. Helens-WM-Trio, der keinen WM-Pokal zu Hause hat. Dass er bei der WM 2024 erst eine Runde später als Michael Smith und Stephen Bunting, (die beide bereits nach dem Achtelfinale nach St. Helens retour fahren konnten), in sein Major-Trophäen-entbehrendes-Heim zurückkehren brauchte, wird Dave Chisnall kaum getröstet haben.

Die atemberaubendste Begegnung der fünften Runde war unzweifelhaft: Rob Cross gegen Chris Dobey. Dass es für Rob Cross weiterhin „Hot Hot Hot“ zur Sache geht, verdankt er einem völlig undenkbaren Monstercomeback, welches er am gestrigen Nachmittag bedingungslos entschlossen hingelegt hatte. Während auf der anderen Seite auffällig aufgeregtes Kauen des Chewing Gums spätestens ab Satz Sieben verriet, dass selbst ein Chris Dobey Nerven hat und sogar er Aufregung kennt. Den Kaugummi hat „Hollywood“ nach diesem Schlag mitten ins Gesicht, vermutlich vor Schreck verschluckt. Falls irgendwann noch die Wahl zum tragischsten Helden dieser WM anstehen sollte, meine Stimme bekommt Chris Dobey. Übrigens, für den unwahrscheinlichen Fall des Falles, dass irgendwann der Dartspieler mit dem angenehmsten Timbre in der Sprechstimme gewählt wird, erhält in der Tat Scott Williams mein Votum. Tja, wirklich glücklich wird meine Wahl keinen von beiden machen und „happy“ ist nach den Viertelfinals sowieso nur einer: Scott Williams, der mittlerweile offensichtlich auch noch „relaxed“ ist.

Der neue Stern am Darts-Himmel spielt Darts wie vom anderen Stern

Nachdem „The Nuke“ als künftiger Top-64 Spieler automatisch für die Tour-Card qualifiziert ist, wird ihn Nathan Rafferty über die Development Tour bezüglich der, bereits durch Littlers jüngste Erfolge errungene, Tourkarte beerben. Auf den Dank des nordirischen Kollegen wartet der Juniorenweltmeister noch. Aber diesbezüglich, ebenso wie im Hinblick auf jeglichen anderen Aspekt, scheint der 16-Jährige wohl generell erstmal der Dinge harren zu wollen, denn aus seinem Blickwinkel kommt eh alles so, wie es kommen muss. Oder um es in seine Worte zu fassen: „If you qualify, if you don`t qualify, that`s to be“. Wie Luke Littler zuletzt die Darts-Ikone schlechthin, Raymond van Barneveld, schier an die Wand gespielt hat – extrem beeindruckend! Insbesondere auch, wenn man vorher die Bilder sah, wie der 3-jährige Luke aus der grenzenlosen Bewunderung heraus, die Siegerposen des Niederländers nachahmte. Nochmals betont: wir reden hier von der Wahrnehmung eines 3-jährigen Kindes, das den Erfolg eines fünffachen Weltmeisters einzuschätzen weiß. In der nächsten Runde servierte der 16-jährige Engländer den „History Maker“ Brendan Dolan ab, der mit Gerwyn Price und Gary Anderson, bereits zwei Weltmeister nach Hause geschickt hatte. Es fehlten einem schon irgendwie die Worte, vor allem ob der Art und Weise. Averages von über 107, 105, 103 … nie zuvor war ein WM-Debütant derart überzeugend aufgetreten, nie zuvor war einer bei seiner Halbfinalteilnahme jünger.

96 Teilnehmer traten bei der Weltmeisterschaft an, nun waren es vier, die übrig geblieben waren, um den Weg ins Finale unter sich auszumachen. Im Halbfinale wurde der Modus nochmals erhöht: nun galt es, als erster Spieler sechs Sets für sich zu verbuchen, um das ersehnte Finale zu erreichen, d. h. die Halbfinals wurden im Best-of-11-Sets-Modus ausgetragen.

Die Paarung in Halbfinale Nummer Eins: Rob Cross und Luke Littler. Rob Cross, („I can“t wait!“), hatte es tagsüber kaum erwarten können und erklärte es zum interessantesten Match des Abends. Zu seinem heutigen Gegner hatte er einiges zu vermelden: „He is brilliant! Incredible! He demolished everyone so far.” Rob Cross wusste aber auch, dass er selbst der letzte verbliebene Halbfinalist war, der bereits einen Weltmeistertitel gewann, damit am wenigsten Druck verspürte, dafür aber über die meiste Routine verfügte. Auf diese Karte wollte er setzen. „Voltage“ meinte, das anstehende Spiel somit etwas lockerer angehen zu können, seine Erfahrung gab ihm die Sicherheit. Zudem betonte Rob Cross, dass sein Gegner erst 16 Jahre jung sei, wir dieses Jahr zwar noch reichlich von ihm sehen würden, aber heute Abend wollte er dem Lauf des jungen Mannes ein Ende setzen. Zudem war Cross davon überzeugt, dass Luke Littler bislang bei dieser WM einfach noch nicht genug gefordert wurde, nicht genug Gegenwehr erfahren hatte, auch das wollte der Weltmeister von 2018 im nachfolgenden Spiel ändern. Er versprach in jedem Fall ein „Quality Match“. Hinsichtlich seiner Einlaufmusik, wollte man „Voltage“ dann auch noch dazu überreden, beim Walk-on noch ein kleines Tänzchen aufs Parkett zu legen, doch das hielt der Engländer für gar keine gute Idee: „I`ll fall over!“

Zuerst wurde natürlich der in der Weltrangliste (bislang noch) schlechter platzierte Jugendweltmeister aufgerufen. Sein Empfang beim Walk-on, ein einziger Triumphzug, bei dem selbst der Torero „Escamillo“ aus der Oper „Carmen“ neidisch geworden wäre. Dann der „Hot Hot Hot“ Einlauf von Rob Cross, die Buhrufe waren nicht zu überhören. Allerdings hatte „Voltage“ damit schon im Vorfeld gerechnet, und er hatte diesbezüglich auch volles Verständnis gezeigt: „Wenn ich nicht selbst auf die Bühne müsste, sondern aus dem Publikum zusähe, würde ich auch Luke unterstützen.“ Es war ihm absolut klar, auf wessen Seite die Menge heute Abend stehen würde: „Come on, we all love fairy tales!“ Die lateinamerikanischen Klänge vertrieben allen Unmut, den Tanz ließ Cross trotzdem bleiben, und nachdem auch er die Treppenstufen zur Bühne hoch erklommen hatte, hörte man eine vertraute Stimme rufen: Game on!

Das „Quality Match“ begann

Rob Cross hatte den ersten Anwurf, man konnte regelrecht spüren, wie wichtig es ihm war, auch das erste Leg schon mal souverän abzusahnen, 1:0. Im zweiten Durchgang Luke Littler mit der ersten 180 im Match, auch der Leggewinn war kein größeres Thema. 1:1. Es war offensichtlich, dass „Voltage“ von Anbeginn deutlich machen wollte, dass dies nicht irgendein Duell, sondern ein „Quality Match“ werden sollte. 140 – 180 – 105 – 76, Rob Cross ließ kaum ein Triple aus, das Doppel wollte er schon gar nicht verschenken. 2:1. Trotzdem vergeudete der Weltmeister von 2018 im vierten Durchgang zwei Breakdarts und ermöglichte dem Gegner so, sein Leg zu halten. Tat der auch, 2:2-Ausgleich. Im fünften Leg kam Littlers zweite 180 dann allerdings zu spät, Cross hatte sich seinen Anwurf bereits gesichert, 1:0-Satzführung. Man merkte, dass der 33-Jährige aus Hastings heute keine Lust auf ein abermaliges Monstercomeback hatte.

Im ersten Durchgang des zweiten Sets lieferten zunächst beide eine weitere 180, „Voltage“ versuchte derweil, sich mit dem 167er-Checkout gleich mal das Break zu sichern, doch er scheiterte am Bullseye. Mehr Chancen gegen den Anwurf sollte er nicht bekommen, denn Luke Littler hatte sein Leg auch schon geholt. 1:0. Cross war sich sehr wohl dessen bewusst, dass er in diesem Spiel außergewöhnliche Wege finden musste. Der 11-Darter im zweiten Leg mit den Aufnahmen: 100 – 140 – 180 – 81, deutete diesbezüglich schon mal in eine effektive Richtung, insbesondere weil der Gegner da noch auf der 200 verloren gegangen war. 1:1. Im dritten Durchgang war Rob Cross weiterhin dem erklärten Vorhaben auf der Spur, trotz der Notwendigkeit von fünf Legdarts, gelang dem Erfahreneren der beiden Akteure das Break zum 2:1. Nutzte ihm aber nicht viel, denn der junge Nachwuchsspieler schlug umgehend zurück, Re-Break und 2:2. Und auch das eigene Leg holte sich Luke Littler im Stile des eigentlichen Routiniers dieses Spiels, Satzausgleich 1:1.

Im dritten Set holte sich der Shooting Star erstmal das Break und im Anschluss daran sein eigenes Leg, wobei er da schon wieder ein kleines Ausrufezeichen zu setzen vermochte. Das High-Finish, 142 (T17, T17, D20) zum 2:0. Im dritten Durchgang grätschte Cross mal kurz dazwischen, hielt seinen Anwurf und erwirkte den Anschluss, 1:2. Doch spätestens im vierten Durchgang musste „Voltage“ einmal mehr feststellen, dass alle noch so starke Scoring-Power für die Katz` war, wenn dann die Doppeltreffer nicht kommen. Ein ums andere Mal ließ Rob Cross die Checkout-Chancen liegen, Luke Littler bedankte sich und ging 2:1 in Sätzen in Front.

Das vierte Set begann der amtierende Juniorenweltmeister mit einem flotten 11-Darter: 131 – 180 – 140 – 50, so kann man auch mal eben in Führung gehen, 1:0. Nicht ganz so flüssig, doch ebenso sicher holte sich Rob Cross sein Leg, 1:1. Im dritten Durchgang zeigte Luke Littler, dass er jederzeit in der Lage ist, noch eins drauf zu setzen: High-Finish, 149 (T20, T19, D16), 2:1. Im nächsten Anwurf des Rob Cross sah man ein ähnliches Bild wie in seinem ersten eigenen Leg: ebenso lässig wie souverän eingestrichen, 2:2. Der fünfte Durchgang dann repräsentativ für das komplette Match: Rob Cross präsentierte fulminantes Scoring, begann das Leg mit sechs perfekten Darts. Und während alle mit der Erwartungshaltung, dass nun eventuell der 9-Darter fallen würde, gespannt der nächsten Aufnahme entgegenblickten, spielte der 16-jährige Engländer auf der anderen Seite vollkommen unbeirrt die 140, die 180 und noch eine 140. Um es vorwegzunehmen: Nein, der 9-Darter von Rob Cross ist es nicht geworden, dafür aber der 11-Darter von Luke Littler. Der hatte im Anschluss noch die 41 unbeeindruckt rausgenommen, und somit war seine 3:1-Satzführung in trockenen Tüchern.

Noch lächelte „Voltage“, dennoch musste er annehmen, sich im falschen Film zu befinden. Zu diesem Zeitpunkt spielte er einen Average zwischen 108 (dritter Satz) und 106 (vierter Satz) und entgegen dieses Durchschnittswerts lag er 1:3 in Sätzen zurück. Verkehrte Welt aus Sicht des Ex-Weltmeisters.

Viertes Set: zweimal die 180 innerhalb des ersten Durchgangs, das genügte „The Nuke“ zum Break, 1:0. Im zweiten Durchgang ließ selbst Luke Littler vier Darts auf Doppel liegen, der Gegner stand bei 138 Punkten, also nicht in unmittelbarer Nähe. Hätte man meinen können. Rob Cross war da jedoch ganz anderer Ansicht, checkte die 138 mit zweimal Triple-18 und Double-15 aus und hatte somit das Re-Break postwendend wieder drin, 1:1. In den nächsten beiden Durchgängen holte sich jeder seinen Anwurf relativ unspektakulär, 2:2. Den Decider begann Cross, den ersten Versuch auf Doppel hatte Littler. Diesmal ließ der Shooting-Star doch mal einen Breakdart liegen. Und genauso wie so ziemlich jeder einzelne Fehler, den „Voltage“ bis dahin gemacht hatte, ihn teuer zu stehen kam, wusste Rob Cross nun seinerseits den gegnerischen Fehlwurf, der geradezu Seltenheitswert besaß, zu bestrafen. Satzanschluss zum 2:3. „The Nuke“ nahm es gelassen, lächelte unbeschwert und zeigte sich weiterhin guter Dinge.

Luke Littlers Unbekümmertheit erinnerte ein wenig an die des Engländers, der mit solch locker gearteter Lässigkeit 2018 Weltmeister geworden war. Wer war das doch gleich? Ach ja, jetzt erinnere ich mich an seinen Namen: Rob Cross. Die ersten beiden Durchgänge des fünftes Sets teilten sie sich, alles noch in der Reihe, 1:1. Im dritten Durchgang, Rob Cross auf der 201, Luke Littler ließ immer weniger Zweifel daran aufkommen, dass er, entgegen der Prognosen seines heutigen Gegners, womöglich auch heute nicht zu stoppen war. 2:1. Das war natürlich nur sein eigenes Leg, also die Pflichtaufgabe. Doch die Kür folgte auf dem Fuße, vierter Durchgang, Break, und auch das 4:2 in Sätzen war ihm nicht mehr zu nehmen.

Den ersten Durchgang des sechsten Set begann wieder Rob Cross. Als „The Nuke“ probierte, das Break mit dem 132er-Checkout auszumachen, scheiterte er am Bullseye. Dass „Voltage“ sich im Anschluss sein Leg doch noch holte, konnte den jungen Engländer nicht wirklich tangieren. 1:0 für Cross. Denn schon im zweiten Durchgang hatte Luke Littler seinen Kontrahenten schon wieder auf der 287 abgehängt, als er seine Darts zum 1:1 aus der Scheibe zog. Im dritten Durchgang konnte sich der Nachwuchsstar vier Darts am Doppel vorbei leisten, das Break holte er trotzdem. 2:1. Das vierte Leg begann Littler wieder mal mit der 180, den eigenen Anwurf danach zu holen, war ebenfalls nur Formsache. 5:2-Satzführung.

Dem amtierenden Jugendweltmeister fehlte nur noch ein Satzgewinn zum Einzug ins WM Finale 2024

Den Anwurf ins Set zu haben, ist natürlich immer eine Bank, wobei man bei Luke Littler nicht das Gefühl hat, dass er irgendeinen Vorsprung nötig hätte. Sein Bonus ist sein unglaubliches Talent, sein scharfer Verstand in Sachen Spielgefühl und natürlich auch seine Ungezwungenheit. Letzteres ist vermutlich das, was jeder Sport als Tribut irgendwann einfordert, doch soweit ist es beim jungen Littler noch lange nicht. Und genau dieses wohlgemute Auftreten half ihm heute beim Duell gegen einen Gegner, der ebenfalls eine grandiose Perfomance zeigte, der selbst aufgrund seiner Unbeschwertheit, 2018 Weltmeister wurde, die unbekümmerte Coolness zwischenzeitlich jedoch fast komplett verloren hatte und mittlerweile ein wenig forciert, seine Nonchalance wiederzuentdecken versucht. Alles, was Luke Littler auszeichnete, zeigte er im achten Set nochmal: mit absoluter Lockerheit, demonstrierte er den perfekten Touch und verstand es, sein unfassbares Talent unmittelbar umzusetzen. Erster Durchgang: „The Nuke“ traf Bullseye, Bullseye und die Double-16, ergo die 132 waren ausradiert und die 1:0 Führung fix.

Nur nebenbei: ein Triple-Feld ist flächenmäßig 2,5 Mal größer als das Bullseye. Und in diesem kleinen Segment hatte der junge Engländer problemlos zwei Darts in Folge platziert. Rob Cross staunte, gab aber natürlich nicht auf, kämpfte wie ein Löwe (nur ohne Löwenmähne) und glich zum 1:1 aus. Ja, Rob Cross hatte im Viertelfinale ein Monstercomeback hingelegt, aber natürlich hatte er da zusätzlich noch die Nerven des Gegners auf seiner Seite. Sein Problem hier war, der 16-jährige Kontrahent ließ sich einfach nicht aufhalten, weder von irgendwelchen Nerven, noch vom Gegner. In den nächsten beiden Durchgängen weigerten sich beide, auch nur einen Deut locker zu lassen, jeder holte sich seinen Anwurf, 2:2. Luke Littler fehlte mittlerweile nur noch ein Leggewinn zum Einzug ins Finale. Doch auch wenn der junge Engländer hier wieder den Anwurf hatte, man hat oft genug erleben müssen, wie Debütanten, jüngere oder eben einfach unerfahrenere Spieler dann beim endgültigen Gang über die Ziellinie gezittert oder gewackelt haben oder gar gestürzt sind. Bei „The Nuke“ sah man keines dieser unliebsamen Phänomen. Wie ein „alter Hase“ ging er sämtliche Aufnahmen völlig gelassen an, souveräner kann man eine Partie nicht ausmachen. Der erste Matchdart auf seinem bevorzugten Doppelfeld (Double-10) saß. 6:2-Erfolg für Luke Littler.

Ja, es war das „Quality Match“ geworden, das Rob Cross im Vorfeld angekündigt hatte, allerdings nicht mit dem Ausgang, den er prophezeit hat. Im Anschluss gefragt, wie er mit all dem Druck so entspannt hatte umgehen können, stellte Luke Littler als Gegenfrage, welcher Druck gemeint sei? Es war seinerseits natürlich als rhetorische Frage gemeint, denn er gab auch umgehend selbst die Antwort: „Ich war der Debütant, ich hatte keinen Druck.“ O.k., der junge Mann tritt nicht nur wie ein absolut reifer und erfahrener Spieler ans Oche, genauso ausgefeilt vernünftig tritt er auch vors Mikrophon. Übrigens hatte sein Auftritt auf der Pressekonferenz am Nachmittag ein solch überdimensional großes Medieninteresse ausgelöst, wenn überhaupt, dann konnte allenfalls Fallon Sherrock bei ihrem ersten Ally Pally-Sieg derartig viele Pressevertreter anlocken.

Luke Littler 6:2 Rob Cross
106,05 Average 102,77
16 180s 10
149 High-Finish 138
3 100+ Checkouts 1
22/47 Finishing 15/36

Kommt noch ein zweiter Luke dazu?

Im Anschluss sofort das zweite Halbfinale: Luke Humphries versus Scott Williams. Scott Williams, der zweite ungesetzte Spieler an diesem Abend, dass er soweit kommen würde, war mit Sicherheit die noch größere Überraschung. Auch heute hatte Luke Humphries im Vorfeld wieder betont, dass er gut geschlafen habe, was bedeutete, dass er ausgeruht ins Match ging. Auch „Shaggy“ war zu Beginn guter Dinge, da wusste er noch nicht, dass der „Humphries-Express“ heute wieder komplett ins Rollen und er womöglich unter die Räder kommen würde. Dabei ging es eigentlich recht vielversprechend für den Spieler aus dem englischen Boston los.

Satz Eins: Im ersten Durchgang präsentierte „Shaggy“ gleich mal die erste 180 und holte sich das Leg, wohlgemerkt gegen den Anwurf, 1:0. Aber es dauerte keine zwei Wimpernschläge, da zeigte „Cool Hand“ Luke, wie man mit Aufnahmen von 140 – 180 – 100 und 81er-Checkout einen geschmeidigen 11-Darter hinlegt und somit das Re-Break erzielt. 1:1. Ein zweites Mal wollte sich Humphries seinen Anwurf auch nicht mehr nehmen lassen, das 2:1 war ebenfalls im Nu fixiert. Und eigentlich plante er, im vierten Durchgang schon den ersten Satz klarzumachen, doch den einzigen Breakdart in diesem Leg ließ der unaufgeregte Luke aus, Williams war auch nicht bereit, ihm eine weitere Chance zu offerieren und glich seinerseits zum 2:2 aus. Als Scott Williams im Decider auf der 279 angekommen war, befand Humphries, dass dies der beste Zeitpunkt sei, um kurzentschlossen auszuchecken und die Satzführung mitzunehmen. 1:0.

Den ersten Durchgang des zweiten Sets begann Luke Humphries seinerseits mit Break, 1:0. Im zweiten Durchgang warf „Cool Hand“ Luke erst zweimal die 100, steigerte diesen Betrag in der dritten Aufnahme auf 180, um dann die verbliebene Restforderung von 121 mit Bullseye, Triple-13 und Double-16 auszumachen. Ich sagte es gestern schon, Topspieler wissen, das gesamte Board zu bespielen. 2:0. Dem ließ Humphries im dritten Durchgang Aufnahmen von 125 – 60 – 180 folgen. Ja, und wenn man schon mal vereinzelt eine schwächere Aufnahme dazwischen hat, dann spielt man halt das nächste High-Finish, 136 (T20, T20, D8). Auch das war wieder ein Break und zugleich die 2:0-Satzführung.

Und dann auch noch der „Big Fish“ zum Dessert

Und weil es gar so schön war, respektive weil Luke Humphries gar so schön im Flow war, löschte er im ersten Durchgang des dritten Sets auch noch die 170, zu Deutsch: den „Big Fish“. O.k., ist nicht wirklich deutsch, schmälert aber die Freude am Highlight keineswegs. 1:0. Scott Williams wollte trotzdem noch ein wenig mitspielen, überlegte sich, was er dem als Augenschmaus entgegen setzen könnte und vernichtete im zweiten Durchgang die 95 mit 19, Double-19, Double-19 – auch nicht so schlecht. 1:1. Dann holten sich beide ihre begonnenen Legs, zur Abwechslung mal wieder auf recht konventionellem Weg, 2:2. Nur beim Decider, da wollte „Cool Hand“ Luke doch noch eins draufsetzen: 19, Triple-19, Bullseye. Die 126 war wegradiert, und dann stand es bereits 3:0 in Sätzen für den bislang dreifachen Major-Sieger, (schließlich konnte ja bald noch ein Titel dazukommen).

Doch zunächst galt es, die heutige Strecke erst einmal bis zu Ende zurückzulegen. Im ersten Durchgang des vierten Satzes stellte sich „Shaggy“ in den Weg, ging 1:0 in Front. War aber nicht weiter aufregend, denn es war sein begonnenes Leg gewesen. Im zweiten Durchgang holte sich Humphries das seine, und auch in den nächsten beiden Durchgängen hielt jeder seinen Anwurf. Wobei der 28-Jährige aus Newbury, seinen letzten Leggewinn einmal mehr mit High-Finish, 125 (25, T20, D20) ausmachte. 2:2. Abermals ging es in den Decider, den begann diesmal Scott Williams. Und er hatte auch die Chance, das Leg und somit den Satz nach Hause zu bringen. Vor allem weil Luke Humphries beim Versuch, die 40 auszumachen, völlig unerwartet nur 30 Punkte gelöscht hatte. Doch nachdem Williams, auf der 78 stehend, vorher noch die 4 und die Triple-18 ausgezeichnet getroffen hatte, scheiterte er an der Double-10. Solche Fehler kann man sich gegen „Cool Hand“ Luke nicht leisten, der hatte drei weitere Darts in der coolen Hand und damit auch die 4:0-Satzführung eingetütet.

Fünftes Set: Luke Humphries startete mit 180 – 100 – 180, die 41 auch kein Problem, und der nächste 11-Darter war am Board gelandet. 1:0. Es wirkte wie an der Schnur gezogen, als der „Humphries-Express“, zuerst das 2:0 herausnahm und dann zum nächsten Parade-Leg ansetzte: zweimal die 140, dann die 100, es blieben 121 Restpunkte. Bullseye, Triple-13, Double-16 – das High-Finish gehörte mittlerweile schon zum festen Standardrepertoire. 5:0-Satzführung.

Sechstes Set: hier teilten sie sich die ersten beiden Durchgänge via Break, d. h. jeder holte sich das Leg des anderen. 1:1. Im dritten Durchgang traf Scott Williams dann beim Checkout-Versuch zweimal die Triple-19 und dann auch das Doppel, nämlich die Double-10. Großartig, wenn man die 134 ausmachen möchte. „Shaggy“ hatte da aber die 126 vor sich stehen. Da wäre Double-6 sicher die weit bessere Wahl gewesen. Seine Variante wurde einfach nur mit „No score!“ quittiert. Er bekam sogar noch eine zweite Chance, die vermaledeite 126 zu eliminieren. Diesmal versenkte er seine Darts in der einfachen 19, der Triple-19 und der äußeren Hälfte des Bulls. Mittig wäre es ihm natürlich lieber gewesen, denn diesmal blieben 25 Punkte übrig. Der Gegner hatte sich derweil mit dem perfekten Set-up-Shot von 180 Punkten, die Double-15 zurecht gelegt. Tja, und die war mit der nächsten Aufnahme Geschichte. 2:1 für Luke Humphries. Auch im vierten Durchgang ließ „Cool Hand“ Luke nichts mehr anbrennen und machte damit völlig ungefährdet den Deckel aufs Match drauf.

Hier noch was zum Genießen. Luke Humphries Average in diesem Spiel: 108,74, seine Checkout Quote: 60%. 6:0-Erfolg – was wollte uns Luke Humphries mit dieser Machtdemonstration sagen? Seine schon seit einiger Zeit geäußerte WM-Titelambition wird immer realer. Ein Spiel noch, doch da muss er ausgerechnet gegen Luke Littler ran, der mittlerweile selbst Ansprüche auf den Nickname „Cool Hand“ Luke geltend machen könnte. Auch „The Nuke“ zeigte heute unwahrscheinliche Coolness, als er im Duell gegen Rob Cross nicht einmal wackelte. Auch nicht, als er nach dem ersten Satz mit 0:1 in Rückstand geraten war. Da hatte er einmal mehr bewiesen, dass er imstande ist, gegen jeden zu bestehen und sich durch nichts und niemanden aus dem Rhythmus bringen zu lassen. Aber auch Luke Humphries zeigte heute wieder alle seine Tugenden, die ihn so unglaublich stark machen. Im Anschluss ans Match wurde der Sieger auch noch befragt, wie es sich anfühle, schon jetzt der neue Weltranglistenerste zu sein. Doch darüber wollte sich Humphries noch keine Gedanken machen, sondern sich ausschließlich aufs morgige Finale konzentrieren.

Luke Humphries 6:0 Scott Williams
108,74 Average 94,93
14 180s 6
170 High-Finish 95
6 100+ Checkouts 0
18/30 Finishing 7/16

Morgen sind wir alle schlauer! Nur zwei Dinge stehen heute schon fest: zum einen (um es mit Rob Cross` Worten zu sagen), es wird ein „Quality Match“ und zum anderen, der Sieger wird hundertprozentig „Luke“ heißen. Einmal noch schlafen, dann kennen wir auch den Nachnamen. Stay bright, nice flight!

Fotos © PDC @ Darts1

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