WM – 14. Spieltag: die letzte Nachmittagssession dieser WM begann exakt so, wie der letzte Spieltag des Jahres 2023 geendet hatte: mit einem epischen Krimi

Wer hätte gedacht, dass wir ohne den (noch) amtierenden Weltmeister Michael Smith, ohne die beiden schottischen Publikumslieblinge Peter Wright und Gary Anderson sowie ohne den bis dahin recht formstabilen Weltranglistensechsten, Nathan Aspinall, ins neue Jahr gehen würden? Ob „The Asp“ sich seine „New Years resolution“, im kommenden Jahr mehr zu trainieren und dafür weniger „Fast Food“ zu sich zu nehmen, wohl schon vor der Niederlage vorgenommen hatte? Keine Ahnung, gewiss ist auf jeden Fall, dass die zwei Erstgenannten nachweislich nicht mit der Formkurve nach oben zeigend, angetreten waren. Doch wie oft hatten beide in der Vergangenheit auch mit ihrem B- oder womöglich sogar mit ihrem C-Game Matches für sich entscheiden können? Wenn man allerdings Gegner hat, die bestens vorbereitet im Ally Pally angetreten und somit in der Lage sind, auf dieser Bühne ihr absolutes A-Game ans Board zu nageln, dann genügt es auch für einen Michael Smith oder einen Peter Wright nicht mehr, wenn diese nicht ihre volle Leistung ans Oche tragen können. Auch dass die Nummer Eins der Waliser, Gerwyn Price, bereits zu Jahresbeginn nicht mehr zugegen sein würde, hätten wohl nur die Allerwenigsten geglaubt. Auch der walisische Kronprinz, Jonny Clayton, musste übrigens am letzten Spieltag vor Jahreswechsel, nach seiner Niederlage gegen Rob Cross, schon wieder abdanken. Dennoch könnte sich „The Ferret“ in Berücksichtigung dessen, dass er seinen Nickname so gar nicht mag, doch zumindest „Prince of Wales“ nennen lassen. Das ist natürlich nur ein Vorschlag zur Güte! Ich weiß selbstverständlich, dass diese Position in der Thronfolge schon seit einer gefühlten Ewigkeit von Ritchie Burnett eingenommen wird. Aber manchmal ist es einfach an der Zeit, dem Nachfolger Platz zu machen. Apropos! Dänemark hatte dieses Jahr gar keinen Profi am Start. Was im Nachhinein gesehen sicher auch besser war, denn so haben auch die dänischen Spieler jetzt die nötige Konzentration, um die doch leicht schockierende Neuigkeit der vorzeitigen Abdankung ihrer populären Königin zu verdauen. Die zwischenzeitlich dienstälteste und vermutlich auch beliebteste Monarchin der Welt, Königin Margrethe II., hatte in ihrer alljährlichen Neujahrsansprache ihrem erschrockenen Volk angekündigt, dass sie am 14. Januar, dem Tag ihres 52. Thronjubiläums als Regentin zurücktreten wolle und den Thron ihrem Sohn, Kronprinz Frederik, überlassen werde. „Also Ritchie, was sagst du?“ Und der „Pince of Wales“ ist ja nicht einmal der tatsächliche Regent, sondern nur der Kronprinz! Außerdem verliert man beim Abdanken offensichtlich kein bisschen an Beliebtheit! Im Gegenteil, in Dänemark vergießen sie im Moment eimerweise Tränen. Und auch wenn sich bei den Engländern lediglich James Wade als loyaler Royalist geoutet hat, ich bin sicher, bei den Dänen sind sämtliche engagierten Dartspieler leidenschaftliche Monarchie-Anhänger. So werden die Akteure um Kultfigur, Per Laursen, der andere Per, der mit dem geistesgegenwärtigen Nickname „PerFect“ ausgestattete Per Skau, Vladimir Kim Andersen, Andreas Toft Jørgensen und gerade Brian Løkken sich vermutlich momentan nur mit der Walk-on Hymne des Letztgenannten: „Always Look on the Bright Side of Life” trösten und womöglich sogar froh sein, dass sie diese Nachricht nicht in London, sondern mit den Landsleuten in der eigenen Heimat entgegennehmen konnten.

Wer definitiv nicht froh war, dass er den Jahreswechsel in London verbringen wird, war Michael van Gerwen. Er würde Silvester lieber daheim bei seiner Familie verbringen, als in der bestens organisierten niederländischen Darts-WG in einem Hotel des Vereinigten Königreichs. Dass er trotzdem dort verweilen muss, machte ihn natürlich aus gebotenem Grunde, dennoch ebenso glücklich. Wobei diese Wohnzweckgemeinschaft mittlerweile in der Tat auf seine Person zusammengeschrumpft ist. „Honey, we shrunk the WG“, hieß hier die Fortsetzung des Kultfilms, nachdem sich auch Danny Noppert, Dirk van Duijvenbode, Richard Veenstra, Berry van Peer und Kevin Doets schon verabschiedet haben. Raymond van Barneveld dürfte möglicherweise von Anbeginn kein Mitglied der WG gewesen sein, da er ja zwischenzeitlich in London zuhause ist. Tja, und Michaels „Best Buddy“ und „Best Man“, Vincent van der Voort, hatte nach 17-jährigem WM-Dauerabonnement, die Qualifikation dieses Jahr erst gar nicht geschafft. Das hielt die Menge jedoch nicht davon ab, bei auch wirklich jedem van Gerwen-Match, den Namen des Trauzeugen zu skandieren. So war der „Dutch Destroyer“ dann halt doch irgendwie präsent.

Über eine neue Einlaufhymne könnte in Anbetracht seiner letzten zwei Matches hingegen Luke Humphries nachdenken. „I will survive“ (von Gloria Gaynor) wäre nach den denkbar (und wohl auch undenkbar) knappen Siegen eine mögliche Option für „Cool Hand“ Luke, der im vorletzten Durchgang seines letzten Spiels zwischendurch gar zu „Shaky Hand“ Luke avanciert war. Hoffen wir für ihn, dass er sich am Silvestertag wieder komplett von diesen epischen Schlachten erholen konnte. Der unterlegene Joe Cullen, der in der ersten Hälfte des (mittlerweile) Vorjahres, nicht müde geworden war, seine Nicht-Berücksichtigung vonseiten der PDC bei der Premier League 2023 zu beklagen, war mit Sicherheit nicht nur deswegen am Boden zerstört, weil er sich nun möglicherweise mit dem Gedanken anfreunden muss, auch bei der kommenden Auflage des Prestige-Turniers keinen Startplatz zu erhalten. But who knows?

In den anderen Partien des letzten Spieltags 2023 war auch noch einiges an Aufregung geboten. Einer der größten Aufreger war das bereits erwähnte unerwartete Ausscheiden von Gary Anderson. Dieses Kunststück war dem „History Maker“ Brendan Dolan gelungen, der bereits in der dritten Runde für die Überraschung schlechthin gesorgt hatte, als er Gerwyn Price das Nachsehen gab. Beim Sieg von Luke Littler über Raymond van Barneveld schieden sich die Geister (in Persona der Experten) bei der Frage: „war das nun eine Überraschung oder nicht?“ Nun, was definitiv überraschen musste, war die Tatsache, in welch überragender Manier der gerade mal 16-Jährige (noch ist er 16, am 21. Januar ändert sich auch das) bei seinem WM-Debüt auftritt. Unter 105 im Average macht er`s doch gar nicht! Gegen „Barney“ war „The Nuke“ sehr wohl mit allerhöchsten Respekt angetreten, den hat er aber im gleichen Moment, in dem er ans Oche trat, auch schon wieder abgelegt gehabt. Eine unstrittige Überraschung war in jedem Fall der überlegene Sieg des ungesetzten Scott Williams gegen den gesetzten Damon Heta, der nicht annähernd an sein Spiel der vorausgegangenen Matches herangekommen war. Und dann war da noch Dave Chisnall, der nach seinem Sieg gegen Daryl Gurney und nach dem Ausscheiden von Michael Smith und Stephen Bunting, als definitiv letzter verbliebener Einwohner von St. Helens, obwohl ausschließlich Gelb tragend, die Farben der im nordwestlichen Merseyside gelegenen Dartsmetropole stolz aufrecht erhalten konnte.

Acht Teilnehmer war es bei der Schnitzeljagd um den WM-Schatz gelungen, die Indizien auf der Wegstrecke über die Jahresgrenze korrekt zu lesen und auch umzusetzen. Die letzte Nachmittagssession der Weltmeisterschaft 2024 hatte die ersten beiden Viertelfinals im Angebot. Im neuen Jahr wurden gleich zu Beginn nochmal zwei Legs bei der Maximalauslastung draufgepackt. Somit hatten epische Matches nun die Möglichkeit gar noch ein Weilchen länger zu dauern. Armer George Noble! Der hatte nämlich die meisten der Dauerbrenner im alten WM-Jahr zu betreuen. „Fingers crossed“, dass im neuen Jahr zum Beispiel Russ Bray besagte Möglichkeit bekommen würde. Denn schließlich ist es seine letzte WM als Caller, somit möchten wir natürlich auch noch das Maximum seiner Kultstimme zu hören bekommen. Das Viertelfinale wurde also im Best-of-9-Sets-Modus ausgetragen, und dann rief auch schon eine andere Kultfigur, nämlich der legendäre „Master of Ceremonies“, John McDonald, wieder: „Game on!“

Chris Dobey hatte im Achtelfinale Michael Smith aus dem Turnier geworfen. Auf die Frage im direkten Anschluss, ob ihm der „Bully Boy“ auch nach dem Abgang von der Bühne noch gute Wünsche für den weiteren Verlauf mitgegeben hätte, verriet „Hollywood“, dass er so kurz nach dem Match zwar nichts mehr vom besiegten Weltmeister gesehen oder gehört hätte, dafür aber volles Verständnis habe, und da Michael ein absolut netter Kerl sei, würde am Folgetag, mit etwas Abstand, sicher noch eine nachträgliche Gratulationsnachricht vom Mann aus St. Helens eintreffen.

Und auch hier sollte man die Spannung wieder mit Händen greifen können

Rob Cross, wie immer „Hot Hot Hot“ (Arrows) aufgelaufen, war beim Walk-on noch in bester Stimmung gewesen war. Das sollte sich bald ändern, denn Chris Dobey, begann entschlossen. Die ersten beiden Durchgänge teilten sie sich, wobei jeder das Leg mit Break gewann. 1:1. Im dritten Durchgang holte sich Dobey erneut das Break, diesmal mit dem allerersten High-Finish des neuen Jahres, die 100 machte „Hollywood“ mit Triple-20, 20 und Double-10 aus. 2:1. In der Folge konnte Chris Dobey das Break auch bestätigen, 1:0-Satzführung.

Auch im zweiten Satz stand es zunächst 1:1, diesmal war es jedoch beiden gelungen, den jeweils eigenen Anwurf zu halten. Und im Gegensatz zum Spielverlauf in Satz Eins, war es hier Rob Cross, der das Break im dritten Durchgang schaffte, 2:1. Aber „Hollywood“ mit dem unmittelbaren Re-Break, 2:2. Und Dobey war es auch, der sein Break wieder bestätigte, 2:0-Satzführung.

Im dritten Set ließ Chris Dobey gar nichts mehr anbrennen, drei Leggewinne in Folge 3:0.

Rob Cross war während des ganzen letzten Satzverlaufs dran geblieben, aber „dran bleiben“ ist halt nicht „überholen“. War Dobeys Startplatz in der Premiere League 2023 noch das am meisten diskutierte Thema des besagten Turniers gewesen, so zeigte der nun eindeutig auf, weswegen er den Zuschlag der PDC erhalten hatte. Und „Hollywood“ bewies seine Dankbarkeit für das Vertrauen, das die Verantwortlichen damit in ihn gesetzt haben, auch damit, dass er sich das ganze Jahr über immer wieder mit Weiterentwicklung und konstanter Steigerung präsentiert hatte. Das i-Tüpfelchen wollte er beim Saisonhöhepunkt, der WM, draufsetzen und das war ihm bis hierher auch hervorragend gelungen.

Und auch im vierten Satz demonstrierte Chris Dobey wieder Außerordentliches. Das erste Leg mit Anwurf souverän eingestrichen und es stand einmal mehr 1:0 für ihn. Beim Break zum 2:0 löschte Dobey fast Spaziergang-artig die 161 mit Triple-20, Triple-17 und Bullyseye. Dass „Hollywood“ im dritten Durchgang nicht auch noch den „Big Fish“ zog, konnte man nicht einmal als Schönheitsfehler deklarieren, denn wie er erst die 145 ausmachte und mit der nächsten Aufnahme die 25, während der Gegner noch auf der 206 festhing, war derart genussvoll anzusehen, dass die 4:0-Satzführung einfach nur überzeugen konnte.

Der leidenschaftliche Fußball-Fan und Anhänger von „Newcastle United“, Chris Dobey, hatte im Vorfeld angekündigt, dass er am 6. Januar natürlich zum FA-Cup nach Newcastle gehen würde, dorthin aber auch den Darts-WM-Pokal mitnehmen wollte. Für diese Bemerkung war er oft belächelt worden, doch nun war er nur noch einen einzigen Satzgewinn davon entfernt, ähnlich wie Brendan Dolan, zwei (ehemalige) Weltmeister in Folge aus dem Turnier zu schmeißen und weiterhin den möglichen Weg zum Wunschtraum zu beschreiten.

Rob Cross müsste hingegen FÜNF Sätze in Folge abräumen, um im Turnier zu verbleiben, bis dahin hatte er noch nicht einmal einen einzigen Satzgewinn geschafft. Doch die Art und Weise, wie er beim Abgang in die nächste Pause genauso frustriert wie vielsagend lächelte, ließ einiges erahnen. Ein Rob Cross war noch lange nicht geschlagen, nicht einmal bei einem 0:4-Satzrückstand, schließlich musste er ja auch seinen Nickname „Voltage“ rechtfertigen können.

In der Pause hatte Rob Cross sein System offensichtlich nicht nur neu kalibriert, sondern auch die körperliche Spannung mit der maximalen Voltzahl aufgeladen. Im ersten Durchgang des fünften Sets war Chris Dobey auf dem besten Weg, ein weiteres Mal die 161 zu eliminieren, doch der Versuch scheiterte schon am zweiten Versuch auf die Triple-20. Auf der anderen Seite checkte „Voltage“ hingegen die 92 sicher aus, hielt damit seinen Anwurf, 1:0. Im zweiten Durchgang war es Rob Cross, der einen Breakdart liegenließ, Ausgleich 1:1. Dritter Durchgang: hier servierte der Nordengländer, Chris Dobey, nicht nur seine nächste 180, sondern auch eine Aufnahme fürs Auge: beim Versuch, auch die 164 auszumachen, traf er erstmal nur die einfache 19 und platzierte daraufhin beide verbliebenen Pfeile inmitten des Bullseye. Die Restforderung von 45 Punkten beim Gegner, nutzte Cross, um schnellstmöglich seine eigenen 48 Restpunkte zu löschen und damit auch sein eigenes Leg wieder zu sichern. 2:1. Im vierten Durchgang hatte „Hollywood“ Anwurf, benötigte aber dringend das Checkout von 142 Punkten, um diesen auch zu halten. Die ersten zwei Darts in der Triple-20 versenkt – soweit, so gut. Doch beim Wurf auf die Double-11 versagten die Nerven vollends. „Voltage“ bestrafte dies rigoros, der 1:4-Satzanschluss und damit der Start zu einem epischen Comeback war schon mal gemacht.

Im sechsten Set griff sich jeder relativ unspektakulär sein erstes Leg. Genauso unspektakulär kam Rob Cross im dritten Durchgang zu seinem Break, in der gleichen unaufgeregten Weise auch zur Bestätigung dessen und zum 2:4 in Sätzen.

Siebtes Set, erster Durchgang: ein weiteres Mal löschte Dobey beim Versuch, 135 Punkte auszuradieren, 119 Punkte in durchaus sehenswerter Weise mit Bullseye, 19 und nochmal Bullyseye. Und diesmal sollte er auch die Möglichkeit eines weiteren Ganges an Oche bekommen, um der Restforderung von 16 verbliebenen Punkten Herr zu werden und somit gleich mal das Break zu setzen. Doch eine Aufnahme mit 8, 4 und 2 Punkten reichte allenfalls aus, um im Madhouse zu landen. Ob er den Weg da heraus in diesem Durchgang noch gefunden hätte, werden wir niemals erfahren, denn „Voltage“ checkte inzwischen die 68 aus, hielt damit sein Leg und ging 1:0 in Front. In den nächsten drei Durchgängen holte sich jeder seinen Anwurf, damit war 2:2 Ausgleich registriert.

Den Decider konnte man als offiziellen Beginn des nächsten Hollywood-reifen Dramas festhalten

Rob Cross mit dem Anwurf, beide zwischendurch mal wieder mit einer 180 und Chris Dobey mit dem ersten Matchdart. Die 124 vor Augen, traf „Hollywood“ zunächst die Triple-20, dann die 14, bevor der Versuch aufs Bullseye den Saal vor Aufregung zum Beben brachte. Da passte kein Blatt mehr dazwischen – Chris Dobey war ein My am Bullseye und am Halbfinale vorbeigeschrammt, sein Anhang schier der Verzweiflung nahe. Auf der anderen Seite versenkte Rob Cross seine Pfeile mal eben ganz unverbindlich in der 18 und der Double-16, die 50 war Geschichte und der 3:4-Satzanschluss hergestellt.

„Voltage“ war jetzt auf dem besten Wege, sein Viertelfinale mit Hilfe eines Mega-Comebacks zu einer kleinen Sensation werden zu lassen, während es Dobey mittlerweile sichtbar mit den Nerven zu tun bekam. Auch „Hollywood“ ist eigentlich ein Spieler, der äußerst nervenstark ist, sich auch so gut wie nie aus der Ruhe bringen lässt und stets unaufgeregt das zu Ende bringt, was er einmal begonnen hat. Doch die Art und Weise, wie er nervös auf seinem Chewing Gum herumkaute, war deutliches Indiz dafür, dass er inzwischen nicht mehr ganz so ausgeglichen war.

Und irgendwie schien es auch ein Zeichen seiner Anspannung zu sein, dass der Nordengländer im zweiten Durchgang des achten Sets auch gleich wieder seinen Anwurf abgab, nachdem „Voltage“ zuvor bereits seinen gehalten hatte, 2:0 für Rob Cross. Im dritten Durchgang griff sich Dobey zwar sein Leg, aber da Cross das gleiche auch mit seinem Leg im vierten Durchgang tat, standen sie nun vor der vollen Satzdistanz, an die, nach den ersten vier Sets, wohl keiner mehr geglaubt hatte. Keiner außer Rob Cross. Der hatte vollkommen unbeirrt und ebenso entschlossen das 4:4 in Sätzen erzwungen. Nun galt es für ihn, das Comeback im Entscheidungssatz auch noch zu vergolden, während der Kaugummi von Chris Dobey weiterhin sichtbar malträtiert wurde.

Wie crazy war das denn? Es ging im ersten Spiel des neuen Jahres bereits in den unerwarteten neunten Satz! Im ersten Durchgang hatte „Voltage“ Anwurf und holte sich den zur Sicherheit gleich mal mit High-Finish, 117 (T20, 17, D20). 1:0. Den zweiten Durchgang starteten beide mit der 180, doch Cross hatte sich seit dem fünften Set offenbar echt einiges vorgenommen: das Break machte er mit dem nächsten High-Finish aus, 130 Punkte mit 20, Triple-20 und Bullseye gelöscht, es fehlte Rob Cross nur noch ein Leggewinn zum Einzug ins Halbfinale. 2:0. Doch auch Chris Dobey wollte sich noch keinesfalls geschlagen geben. Und als der Gegner im dritten Leg mal zwischenzeitlich einen Gang herunterfuhr, bündelte „Hollywood“ nochmal alle Konzentration zu einem kräftigen Strang und sprang dem vorzeitigen Aus in letzter Sekunde von der Schippe. 1:2. Im vierten Durchgang eine weitere Möglichkeit für Dobey, der drohenden Niederlage zunächst nochmal zu entkommen. Der Kontrahent lauerte auf der anderen Seite bei 93 Punkten, da war es empfehlenswert, den eigenen Restbetrag von 152 Punkten in einem Go mitzunehmen. Doch nachdem er zweimal die Triple-20 erfolgreich abgeräumt hatte, landete der Versuch, auch die Double-16 entsprechend treffsicher zu eliminieren, nicht wirklich in der Nähe des Doppelfeldes. Derweil Rob Cross mit der Chance, seinerseits den Deckel aufs Match draufzumachen. Die einfache 19 plus der einfachen 18 genügten nicht, um die 93 herauszunehmen. Chris Dobey mit dem allerletzten Rettungsanker: auch der zweite Legdart wollte nicht so, wie er wollte, sein Anhang hielt derweil völlig aufgelöst die Luft an. Und damit die da unten wieder zu Atmen anfangen konnten, versenkte Chris Dobey den nächsten Versuch doch noch zur erlösenden Rettung aller Dobey-Clan-Mitglieder, in der Double-16. Schließlich würde der Nordengländer in zwei Wochen zum zweiten Mal Vater werden, da wollte man auch keine aufregungsbedingte Frühgeburt riskieren. 2:2.

Jetzt war es wieder soweit: auch hier genügte es nun nicht mehr, den nächsten Durchgang für sich zu entscheiden, denn einmal mehr kam die Two-Clear-Legs Regel zum Tragen.

Fünfter Durchgang: Cross hatte Anwurf und wieder sah Chris Dobey die Möglichkeit vor sich, ein Break mit 124er-Checkout abzuräumen. Und wieder traf er die Triple-20, die 19 und nur das halbe Bullseye. Rob Cross wollte keinen weiteren Zweifel daran aufkommen lassen, dass dies sein Leg war, 3:2. Im vierten Durchgang stellte sich Chris Dobey zum wiederholten Male die Double-16 und musste ein weiteres Mal feststellen, dass ihm dieses Doppelfeld heute einfach nicht gewogen war. Weil aber „Voltage“ noch weit entfernt auf der 186 verweilte, hatte Dobey, inklusive Überwerfens, acht Legdarts Zeit, um den neuerlichen Ausgleich zu erzwingen, 3:3. Hatte Rob Cross im vorausgegangenen Leg noch so etwas wie eine Verschnaufpause eingelegt, so gelang ihm im siebten Durchgang mit 140 – 180 – 145 – 36 ein ebenso lässiger wie ausgezeichneter 10-Darter, mit dem er in dieser Situation des Kopf-an-Kopf-Rennens auf der Zielgerade durchaus zu beeindrucken wusste. Und irgendwie muss es auch den zwar stets unbeeindruckt wirkenden Chris Dobey beeindruckt haben, denn ihm wollte es diesmal nicht gelingen, den Kopf noch ein letztes Mal aus der Schlinge zu ziehen. Beim Versuch, die 71 zu löschen, traf er zwar die Triple-6 und die 13, aber der Wurf auf Tops wollte nicht mehr funktionieren. Rob Cross bedankte sich, checkte seinerseits die 70 mit Triple-18, Double-8 aus und damit stand seinem Einzug ins Halbfinale nichts mehr im Wege. 5:4.

Was für ein megastarkes Comeback, das Rob Cross noch krönen konnte. Chris Dobey war sichtlich bedient. Obwohl er in seinem letztjährigen WM-Viertelfinale eine 0:5-Klatsche gegen Michael van Gerwen hatte hinnehmen müssen, wird er diese denkbar enge Niederlage, ob der zwischenzeitlich uneinholbar scheinenden 4:0-Satzführung, vermutlich noch als die größere Klatsche empfunden haben. Mit diesem neuerlichen Schlag, mitten ins Gesicht, ist Chris Dobey schon jetzt so etwas wie die tragische Figur dieser WM.

Rob Cross 5:4 Chris Dobey
100,70 Average 99,84
10 180s 17
130 High-Finish 161
2 100+ Checkouts 2
20/35 Finishing 20/61

Ein Shooting-Star, bei dem uns die Superlative ausgehen

Doch es blieb nicht viel Zeit, um Chris Dobey zu bedauern und Rob Cross zu bejubeln, denn die nächste Viertelfinalpartie stand an. Und da wurde der Jubel tatsächlich nochmal ganz besonders laut, denn der heimliche Star dieser WM – hörte man die lautstark tosende Menge, war das gar nicht zu verheimlichen – Luke Littler wurde angekündigt. Sein heutiger Gegner ein weiterer etablierter Routinier, der obendrein mit Gerwyn Price und Gary Anderson zwei Top-Asse aus dem Turnier genommen hatte: Brendan Dolan.

Luke Littler, von den englischen Buchmachern bei dieser WM mittlerweile offenbar mit ähnlichen Odds gehandelt, wie Superstar Michael van Gerwen, zeigte auch in diesem Spiel, warum das so ist. Nachdem er bereits der jüngste Spieler in einem WM Viertelfinale war, unternahm er nun alle Anstrengungen, um auch der jüngste Spieler in einem WM Halbfinale zu werden. Wobei von „Anstrengungen“ in dem Fall nicht wirklich die Rede sein konnte.

Dabei begann das Match für den „History Maker“ eigentlich noch recht vielversprechend. Im ersten Leg holte er sich mit High-Finish, 101, (T19, 12, D16) das Break, das er im nächsten Durchgang auch gleich bestätigte, damit die 2:0 Führung für Brendan Dolan. Sein größter Fan, Ehefrau Teresa, immer dabei und immer begeistert, wenn der Gatte führt. Doch diese Begeisterung sollte nicht lange anhalten, denn postwendend war Luke Littler am Drücker. Mit 17, Bullseye, Triple-17 hatte er sich selbst einen optimalen Set-up-Shot (118) serviert und die Double-12 war in der anschließenden Aufnahme auch kein Problem mehr. 1:2. Im vierten Durchgang nahm „The Nuke“ gleich mal seinerseits das Break an sich, 2:2. Und während der Gegner im dritten Leg noch auf der 254 verblieben war, als Littler seine Gewinndarts herauszog, war Dolan im fünften Durchgang gar noch auf der 308 festgebunden, als der Juniorenweltmeister versuchte, den Satzgewinn mit dem „Big Fish“ zu veredeln. O.k., statt Bullseye traf er das Segment der einfachen 11, aber da der Kontrahent da noch bei der Marke 353 verblieben, somit nicht mal in Sichtweite war, konnte man das nur mit einem Lächeln quittieren. 1:0 in Sätzen für Luke Littler.

Das 2:0 in Sätzen holte der 16-jährige Engländer gar noch überlegener: 96 – 134 – 171 – 100, der sehenswerte 12-Darter bescherte das Break zum 1:0. 134 – 140 – 180 – 47, der nächste 12-Darter in trockenen Tüchern, 2:0. Und auch im dritten Durchgang war dem Shooting Star einfach nicht beizukommen, der Satzgewinn eine einzige Machtdemonstration des jungen Engländers.

Im dritten Satz teilten sie die ersten beiden Durchgänge gerecht unter sich auf, 1:1. Im dritten Leg ließ dann selbst Luke Littler das eine oder andere liegen, Brendan Dolan sammelte das dankbar auf und holte sich das Break, 2:1. Littler wusste dies jedoch umgehend wieder gutzumachen, das Re-Break schnappte er sich mit High-Finish, 111 (25, T18, D16). 2:2. Sein eigenes Leg im Decider zu greifen, war dann auch kein größeres Problem, nachdem der „History Maker“ hier einmal mehr, weit entfernt auf der 298 verblieben war. 3:0 in Sätzen für Luke Littler. Im vierten Satz wollte Brendan Dolan nochmal bekräftigen, dass er in den letzten Runden zwei Topstars aus dem Turnier genommen hatte und startete den ersten Durchgang mit High-Finish, 142 (T20, T20, D11). Das war in dem Satz aber schon wieder die einzige Genugtuung, die Littler seinem etablierten Kontrahenten gönnte, in den nächsten drei Durchgängen, machte der Nachwuchsstar wieder seine eigenen Ambitionen deutlich. Drei Leggewinne in Folge und auch das 4:0 war besiegelt.

Im fünften Set schien Luke Littler dann doch so etwas wie eine kleine Verschnaufpause zu brauchen. Im ersten Durchgang schoss er beim Versuch, die 40 auszuchecken, sechs Legdarts am Ziel vorbei. Auch der Nordire benötigte sechs Breakdarts, um der 50 Herr zu werden, aber trotz Überwerfens innerhalb einer der drei Aufnahmen im Endspurt, gelang es ihm hier das 1:0 gegen den Anwurf durchzukämpfen. Auch sein eigenes Leg holte er mit viel Willenskraft ein, 2:0. Im dritten Durchgang war Luke Littler nicht willens, seinen Anwurf ein weiteres Mal herzugeben, 1:2. Doch auch dem „History Maker“ gelang es im vierten Durchgang, sein Leg ein zweites Mal zu halten, hier sogar mit High-Finish, 118 (T20, 18, D20). Somit war auch Brendan Dolan endlich auf der Set-Anzeigentafel angekommen. 1:4. Teresa Dolan völlig aus dem Häuschen, dass ihrem Gatten aber ein ähnliches Comeback gelingen würde, wie das im Match zuvor Rob Cross unter Beweis gestellt hatte, darauf konnte vermutlich nicht einmal sie mehr hoffen.

Doch selbst wenn, so erstickte der amtierende Jugendweltmeister schon im nächsten Set jeglichen Hoffnungsschimmer resolut im Keim. Den ersten Durchgang holte „The Nuke“ mit High-Finish, 140 (T18, T18, D16), 1:0. Auch das 2:0 überhaupt kein Thema für den jungen Engländer. Und als er sich den dritten Durchgang einmal mehr mit perfektem Set-up-Shot (132) aufbereitet hatte, war die Double-4 ebenfalls ohne Umschweife gelöscht und der Matcherfolg eingetütet. 4:1. Diesmal ein Average von „nur“ knapp 102 Punkten – der Junge wird doch nicht in eine Krise hineinschlittern. Nein, ernsthaft, zu diesen überirdischen Leistungen fällt einem echt nichts mehr ein. Luke Littler spielt bereits jetzt in seinem eigenen Darts-Universum.

Luke Littler 5:1 Brendan Dolan
101,93 Average 86,45
5 180s 4
140 High-Finish 142
3 100+ Checkouts 3
16/34 Finishing 8/18

Heute Abend warten die beiden anderen Matches der Viertelfinals auf uns.

Fotos © PDC @ Darts1

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