Aus dem Testlabor
von Unicorn Darts

Präziser geht’s nicht


Darts-Prototyp
Prototyp eines präzisionsoptimierten Darts (1986)

Willkommen zu meinem letzten von insgesamt acht UniBlogs, die einen Auffrischungskurs zum Thema „Flugdynamik“ bilden. Die ersten sieben Beiträge dienten dem Aufbau, hier folgt das große Finale, der „Big Fish“, wenn man so will. Es wird ein beinahe schon unverschämt langes Finale, das zeigen soll, warum sich ein Profi-Darter für Gierungswellenlängen, Neutralpunktabstände, Trägheitsmomente und alle anderen aeroballistischen Esoteriken, die ich zu erläutern versucht habe, interessieren könnte. Der Grund liegt schlicht und einfach in der Tatsache, dass ein Verständnis dieser Begrifflichkeiten dafür genutzt werden kann, einen Dartpfeil herzustellen oder zu tunen, der sich in aerodynamischer Hinsicht präziser verhält. Das überzeugt Euch nicht? Lest weiter!

Ich denke, die meisten Spieler werden mir zustimmen, wenn ich sage, dass ein Dartpfeil mit einem gebogenen Schaft dazu neigt, weitaus ungenauer zu fliegen, ebenso wie einer mit zu kleinen Flights, der auf dem Weg zum Board herumeiert und in eher zufälligen Winkeln auf das Board trifft. Man kann hingegen davon ausgehen, dass die Aerodynamik ihre Aufgabe erfüllt hat, wenn ein Dartpfeil einigermaßen gerade fliegt und auf das Board trifft. Präzision scheint dann nur noch eine Frage des Könnens zu sein.

Nun, in gewissem Maße stimmt das natürlich. Darts ist vor allem ein Geschicklichkeitsspiel. Schon im ersten Kapitel dieses Auffrischungskurses heißt es, dass bei einem Dart, der in die falsche Richtung geworfen wurde, „ohne ein Leitsystem keine noch so gute Aerodynamik hilfreich sein kann“. Doch in jenem UniBlog heißt es auch, dies sei noch nicht das Ende der Geschichte, da die Aerodynamik nach wie vor dafür sorgen kann, dass ein Dart, der in die richtige Richtung geworfen wird, sein Ziel um ein paar Millimeter verfehlen kann. Das hat dann mit aerodynamischen Störeinflüssen auf die Flugbahn seines Schwerpunkts sowie der Verschiebung der Spitze beim Auftreffen des Pfeils auf das Board zu tun.

Im zweiten Blog-Beitrag dieser Reihe wurde geschildert, dass der letztgenannte Faktor oft abgeschwächt werden kann, indem man schlicht und einfach größere Flights verwendet. Diese Maßnahme, die bei den Spitzenspielern immer beliebter zu werden scheint, könnte tatsächlich häufiger zu konstanteren Auftreffwinkeln führen.

Der Mechanismus, mit dem Flight, egal ob klein oder groß, einen Dart hauptsächlich durch die von ihm erzeugte aerodynamische Auftriebskraft zu stabilisieren, wurde im dritten Kapitel dieser Reihe erläutert, wohingegen sich das vierte Kapitel mit dem Phänomen beschäftigt, warum sich diese Auftriebskraft bei viel größeren Winkeln abweichend verhält.

Im fünften Kapitel wurde das Konzept der „Gierungswellenlänge“ vorgestellt, eine von der Wurfgeschwindigkeit oder der Winkelamplitude (unterhalb des kritischen Anstellwinkels) unabhängige charakteristische Strecke, die ein Dart braucht, um im Flug von der einen zur anderen Seite zu „pendeln“. Der sechste Beitrag, „Sechs Freiheitsgrade“, beschäftigte sich zunächst mit den grundlegenden Ideen hinter der gleichnamigen Art der Flugbahnmodellierung und erläuterte dann, wie die Gierungswellenlänge zu einer Funktion des „Kippmoments“ eines Darts wurde, dem Produkt aus der „Normalkraft“ (die hauptsächlich aus der Auftriebskraft der Flights besteht) und dem „Neutralpunktabstand“, der Distanz zwischen dem Schwerpunkt eines Darts und dem Punkt, auf den die Normalkraft einwirkt.

Das siebte Kapitel beschäftigte sich schließlich mit dem Einfluss des Trägheitsmoments eines Darts auf die Gierungswellenlänge, und dass längere Schäfte das Trägheitsmoment manchmal so sehr vergrößern können, dass eine Vielzahl der Vorteile, die sich aus dem daraus resultierenden größeren Neutralpunktabstand ergeben, zunichte gemacht werden. Außerdem wurde in diesem Kapitel das Konzept der dynamischen Stabilität eingeführt, laut dem sich das Gieren eines Darts abschwächt, wenn die zurückgelegte Strecke entsprechend lang ist.

Okay, genug rekapituliert. Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie man all dieses Wissen verwenden kann, um einen präziseren Dartpfeil herzustellen.

Die folgende Grafik zeigt das Ergebnis einer „Sechs Freiheitsgrade“-Flugbahnmodellierung (Ihr erinnert Euch?) für einen Steeldart mit sehr hoher Stabilität (Gierungswellenlänge: 2 Meter), der mit einer Geschwindigkeit von 6m/s fliegt, im Flug einen Anstellwinkel von 18 Grad erreicht (um die Triple-20 von einer realistischen Abwurfhöhe aus zu treffen), jedoch horizontal ohne Anstellwinkel abgeworfen wird, was unter Profi-Dartspielern nicht unüblich ist.

Der Pfeil giert also nach dem Abwurf in einem Winkel von 18 Grad nach unten. Bei einem normalen Stand beträgt die Wurfdistanz zum Board an einem 2,37 Meter langen Oche etwa zwei Meter, sodass dem Dart Zeit bleibt, im Flug zuerst nach oben und dann nach unten zu gieren, sich mit einem Gierwinkel von „gedämpften“ 6 Grad abwärts zu senken und etwa 21 Grad unterhalb der Horizontalen auf das Board zu treffen. (An dieser Stelle nur kurz zur Erinnerung: „Gieren“ bezieht sich bei nahezu achsensymmetrischen Projektilen wie Dartpfeilen auf den Auftreffwinkel sowohl auf der horizontalen als auch auf der vertikalen Ebene.)

Flugkurve Analyse

Ist Euch aufgefallen, dass diese Grafik ein wenig – wie soll ich sagen – Achtziger-mäßig aussieht? Sie sieht nicht nur so aus, sie ist es auch! Denn sie stammt aus dem Programm, das damals bei der Entwicklung des eingangs abgebildeten Prototyps eines präzisionsoptimierten Darts zum Einsatz kam. Nun tauschen wir die Abbildung gegen eine neuere aus, bleiben aber bei unseren Berechnungen und vergleichen eine Wiederholung der oben gezeigten Flugbahn mit einer anderen (unten) für einen weniger stabilen Dart (Gierungswellenlänge: 3,5 Meter), der exakt so geworfen wurde wie der erste Pfeil.

Flugbahn

Die Darts mancher Spieler zeigen auf ihrer Flugbahn nach oben und stehen dabei ein bisschen schräg in der Luft. So könnte das für die beiden Darts aus unserer Grafik aussehen:

Flugbahn

Diese Grafiken offenbaren zwei ganz interessante Punkte. Erstens: Obwohl die meisten Steeldartspieler vermutlich davon ausgehen würden, dass ein weniger stabiler Dart flacher im Board landen wird (wie in der ersten Grafik zu sehen ist), so zeigt die zweite Grafik, dass dies keineswegs immer der Fall sein muss. Zweitens verdeutlichen die Grafiken, wie sehr ein Dart mit einer großen Gierungswellenlänge zum „Herumeiern“ tendiert, vor allem wenn man, wie in der zweiten Grafik, zum Spielertyp gehört, der seine Darts so abwirft, dass sie von Anfang an eine Giergeschwindigkeit besitzen.

Wenn der Dart zu sehr „herumeiert“ und es zu einem Strömungsabriss kommt, führt ein höherer Luftwiderstand dazu, dass der Pfeil wenige Millimeter tiefer auf das Board trifft. Zudem ist es der chaotischen Natur des Strömungsabrisses geschuldet, dass diese Abweichung des Pfeils ebenso wenig vorhersehbar ist wie – was noch wichtiger ist – der Winkel, in dem er im Board landet. Aus diesem Grunde sind Spieler, die ihren Darts eine signifikante anfängliche Giergeschwindigkeit mitgeben – was auf manche Profis und die meisten Anfänger zutrifft – in puncto Genauigkeit mit Darts, die eine kurze Gierungswellenlänge haben, am besten dran.

John Lowe Dart
Unicorn John Lowe 90% Tungsten (1985)

Das vergleichsweise niedrige Trägheitsmoment einiger torpedoförmiger Barrels sorgt dafür, dass die Darts, vor allem wenn sie mit leichten Schäften und „Anti-Stall“-Flights ausgestattet sind, eine kurze Gierungswellenlänge haben und somit aufgrund ihrer hohen anfänglichen Giergeschwindigkeit die Ungenauigkeit minimieren. Ich benutze für diesen Barrel-Typ die Bezeichnung „stabilitätsoptimiert“. Auf dem oberen Bild sieht man ein klassisches Beispiel für diesen Barrel, der das Design des jüngeren „Sigma One“ (unten) nicht unwesentlich beeinflusst hat.

Sigma 970 One Dart
Unicorn Sigma 970 One 97% Tungsten (2008)

Gewiss spielt die Aerodynamik in Bezug auf die Genauigkeit eine wichtige Rolle, doch noch wichtiger ist, dass der Dart zum Griff des Spielers passt, was in vielen Fällen dazu führt, dass ein verhältnismäßig langer (etwa 50 mm), fast schon bleistiftförmiger Barrel bevorzugt wird. Wie im siebten Kapitel verdeutlicht wurde, verfügen Darts mit einem solch langen Barrel (siehe Beispiel unten) für gewöhnlich über ein hohes Trägheitsmoment, auch wenn sie mit einem leichten Schaft versehen worden sind. Die Darts benötigen also eine Menge Auftrieb durch große Flights, um die Gierungswellenlänge möglichst kurz zu halten. So kann sich für Spieler, die Darts mit einem hohen Trägheitsmoment benutzen, ein Dilemma ergeben, da große Flights die Gierung gering halten und die aufgrund des Luftwiderstands und der Punktverschiebung auftretenden Ungenauigkeit verringern sollen, ab einem bestimmten Gierwinkel jedoch ohnehin mehr Luftwiderstand haben.

Gary Anderson Dart
Gary Anderson „2019 Edition“-Barrel mit „Gripper 3 Two-Tone“-Schaft und „Big Wing“-Flights

Bisher haben wir uns intensiv mit der Genauigkeit auf der vertikalen Ebene beschäftigt, doch die horizontale Genauigkeit ist mindestens genauso wichtig, besonders wenn man auf die briefkastenschlitzförmige Triple-20 zielt. Auf der horizontalen Ebene kann es zu Abweichungen von der Wurflinie kommen. Der Luftwiderstand und selbst Schwankungen bei der Wurfgeschwindigkeit stellen hingegen kein Problem dar. Die aerodynamische Präzision hängt von zwei Effekten ab: Von der Abweichung durch den aerodynamischen Auftrieb, der durch das Gieren während des Flugs entsteht, sowie von der Abweichung der Spitze von der Flugbahn des Schwerpunkts des Darts beim Auftreffen auf das Board.

Unten findet Ihr zwei Diagramme, welche die horizontale Abweichung aufgrund dieser Parameter für die gleichen Ausgangsbedingungen und Gierungswellenlängen des Darts wie in den vorherigen Grafiken zeigen.

Wellenlänge
Wellenlänge

Die in diesen Diagrammen gezeigten Abweichungen treten auch auf der vertikalen Ebene auf, wo allerdings der Luftwiderstand eine weitere Komplikation darstellt. Sie können also mit dem Luftwiderstand kombiniert werden, damit man für die Gesamtabweichung der Dartspitze von der Flugbahn seines Schwerpunkts beim Auftreffen auf das Board nur eine Zahl für die beiden Ebenen erhält. Die folgende Grafik zeigt genau diese Kombination unter Einbeziehung der oben genannten Abwurfbedingungen und einer geringen anfänglichen Giergeschwindigkeit (1 rad/s), sowohl für repräsentative herkömmliche Barrels als auch für stabilitätsoptimierte Ausführungen und Gierungswellenlängen zwischen 2 und 3,5 Metern.

Wellenlänge

Mit diesem Diagramm kommen wir schließlich zur Auflösung des Ganzen. Die Grafik verdeutlicht, warum es gut möglich ist, dass Spieler, die ihre Pfeile mit einer ausgeprägten „Schnipp-Bewegung“ abwerfen (wie die meisten von uns weniger talentierten Aktiven in dieser Sportart), mit Darts mit einer geringen Gierungswellenlänge und hoher Stabilität treffsicherer sind.

Spieler mit einem sanfteren Abwurf, wie zum Beispiel ein gewisser Gary Anderson, sind wahrscheinlich mit einem Dart mit einer Wellenlänge im Bereich von 2,7 Metern besser dran. Ratet mal, auf welchen der Darts, die wir uns gerade angesehen haben, exakt dieses Kriterium zutrifft?

Gary Anderson Dart

All dies bezieht sich auf einen Wurf aus einem normalen Stand heraus an einem 2,37 Meter langen Oche, woraus sich eine ungefähr 2 Meter lange Flugbahn ergibt. Ein Dart mit einer Gierungswellenlänge von etwa 2,7 Meter kann dann ungefähr Dreiviertel einer kompletten Gierung durchlaufen, was bedeutet – ich habe dies im UniBlog mit dem Titel „Die Abenteuer des Dreiviertels“ (mit Sherlock Holmes) erläutert – dass der Auftriebseffekt in entgegengesetzter Richtung zur Verschiebung der Spitze beim Auftreffen auf das Board wirkt, wodurch die Gesamtabweichung verringert wird. Dies gilt besonders für Würfe mit geringen anfänglichen Giergeschwindigkeiten.

Die Wurfgeschwindigkeit wirkt sich so gut wie gar nicht auf die Gierungswellenlänge aus. Demnach sind die angegebenen ca. 2,7 Meter das Optimum, obwohl die Länge der Flugbahn sowohl von der Wurfgeschwindigkeit als auch von der Abwurfposition beeinflusst wird. Es handelt sich jedoch um ein ziemlich „flaches“ Optimum, daher würde nur eine sehr ungewöhnliche Abwurfposition oder Länge des Oches daran etwas entscheidend ändern.

Ebenso verdeutlicht die Grafik mit den Abweichungen den potentiellen Vorteil des bereits angesprochenen stabilitätsoptimierten Barrels in Bezug auf die aerodynamische Präzision. In Verbindung mit einem leichten Schaft und leichten Flights, die für genügend Auftrieb sorgen, damit eine Gierungswellenlänge von 2 bis 2,4 Metern erreicht wird, sorgt diese Art von Barrel für einen „stabilitätsoptimierten Dart“ wie beispielsweise den „Sigma 970 One“. Wenn man denselben Barrel mit einem Setup kombiniert, mit dem eine Gierungswellenlänge von etwa 2,7 Metern erreicht wird, erhält man das, was ich einen „präzisionsoptimierten“ Dart nenne. Einen wie den „Sigma 970 Pro“.

Mit all diesen Erläuterungen im Hinterkopf wirft man nun drei völlig gleiche Darts auf exakt die gleiche Weise und unter absolut identischen Bedingungen. Die Pfeilspitzen werden dann höchstwahrscheinlich immer auf exakt dieselbe Stelle im Board treffen, völlig unabhängig von der Aerodynamik (und von Werner Heisenberg). Aus diesem Grund können Spieler mit einem ausgeprägten „Muskelgedächtnis“ (wie ein Michael Smith) mit jedem einigermaßen stabilen Dart viele 180er werfen, vorausgesetzt dass der Barrel zu ihrem Grip passt. Die Würfe der meisten Spieler sind jedoch variantenreicher und unterscheiden sich von Wurf zu Wurf mehr als die eines Michael Smith. So oder so müssen selbst die „Muskelgedächtnis-Spezialisten“ sehr oft mit ihrem ersten Dart ein bestimmtes Ziel treffen, darunter auch Felder, die nicht so oft trainiert werden wie die Triple-20.

Wie ich schon sagte, kommt es bei Darts in erster Linie auf Geschicklichkeit an, doch das sollte einen nicht davon abhalten, sich durch eine gute Ausrüstung ein wenig zusätzlichen Support ins Haus zu holen!



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