Psychischer Druck Inhaltsverzeichnis der Doktorarbeit

Erklärungsansätze für Leistungseinbußen in Drucksituationen

Dr. Heiko Maurer

3.3.3 Aufmerksamkeit und Handlungskontrolle

Die in den letzten Abschnitten dargestellten Arbeiten zur Aufmerksamkeitslenkung nutzen unterschiedliche methodische Herangehensweisen, sehr verschiedene Fertigkeiten und unterschiedlich geübte Versuchspersonen. Zudem ergeben sich zum Teil widersprüchliche Ergebnisse. Zur besseren Einordnung der bisherigen Ergebnisse ist daher eine stärker theoriegeleitete Betrachtung erforderlich, die sich der Frage nach der Bedeutung der Aufmerksamkeit im Rahmen der Handlungskontrolle widmet.

Zur Erklärung der besseren Lern- und Ausführungsleistungen bei externaler Aufmerksamkeitslenkung im Vergleich zu einem internalen Fokus wird in den Arbeiten der Wulf-Gruppe (z. B. Wulf et al., 2001a; Wulf, Shea & Park, 2001b) die Constrained Action-Hypothese formuliert. Dabei wird angenommen, dass automatische Kontrollprozesse gestört werden, wenn eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Bewegungsausführung erfolgt. Wulf und Prinz (2001) stellen bei der Begründung dieses Ansatzes den Bezug zum common coding-Ansatz von Prinz (1990, 1997) und der ideo-motorischen (IM) Hypothese her. Die IM-Hypothese wurde bereits in zahlreichen klassischen Arbeiten des 19. Jahrhundert formuliert (u. a. Herbart, 1816; James, 1890; für einen historischen Überblick: Stock & Stock, 2004). Das IM-Prinzip versucht auf einfache Weise zu erklären, wie zielgerichtetes Verhalten möglich wird. Dabei wird angenommen, dass Bewegungshandlungen in Form ihrer sensorischen Konsequenzen repräsentiert sind und die Vorstellung der angestrebten sensorischen Konsequenzen die entsprechende Bewegung aktiviert. Dafür ist es erforderlich, dass Assoziationen zwischen Bewegungsausführungen und den damit konsistent einhergehenden sensorischen Effekten erlernt werden. Solche sensorischen Effekte können sowohl körpernah (z. B. die taktilkinästhetischen Empfindungen eines sich bewegenden Effektors) als auch körperfern (z. B. das Aufleuchten einer Lampe nach Betätigung des Lichtschalters) sein (Prinz, 1997; Kunde, 2006). Die IM-Hypothese sagt voraus, dass nach dem Erwerb derartiger Bewegungs-Effekt-Assoziationen alleine die Vorstellung des angestrebten Effektes ausreicht, um diejenige Bewegung zu aktivieren, die diesen Effekt erfahrungsgemäß verlässlich erzeugt. Danach ist also die Vorwegnahme eines zeitlich nachfolgenden Effektes die Grundlage für die Ausführung einer Handlung.

Die Grundidee, dass das Erzielen von Handlungseffekten für die Aktivierung der motorischen Aktionen verantwortlich ist, wurde in einer Reihe von neueren Arbeiten aufgegriffen und experimentell gestützt (Hoffmann, 1993a; Prinz, 1997; Hommel, Müsseler, Aschersleben & Prinz, 2001; Kunde, Koch & Hoffmann, 2004; Rieger, 2004; Drost, Rieger, Brass, Gunter & Prinz, 2005; für einen Überblick Kunde, 2006). In Hoffmanns (1993a) Modell der antizipativen Verhaltenskontrolle wird die oben beschriebene Vorwegnahme der Handlungseffekte als Antizipation von Verhaltenskonsequenzen bezeichnet. Hoffmann stellt aber heraus, dass die Antizipation der Verhaltenskonsequenzen nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Ausgangsbedingungen berücksichtigt werden, die der Bewegungsausführung zugrunde liegen. Danach ist es also nicht ausreichend, wenn wie oben beschrieben Bewegungs-Effekt-Assoziationen erworben werden. Erfolgreiches Bewegungsverhalten ist nur dann möglich, wenn Situations-Bewegungs-Effekt-Assoziationen vorliegen, d. h. ein Wissen darüber, unter welchen Ausgangsbedingungen welche Bewegungen zu den gewünschten Effekten führen (vgl. Hoffmann, 1993a; Hossner, 2004). Dieser Zusammenhang wird von Hoffmann in Abbildung 3 verdeutlicht. Danach ist neben der Antizipation des zu erreichenden Zielzustandes auch eine Antizipation der Eigenschaften des Ausgangszustandes erforderlich, bei denen das Verhalten auch zu den erwarteten Konsequenzen führt. Hossner (2004) veranschaulicht dies am Beispiel des Skispringers, bei dem eine perfekte Absprungbewegung nicht zu einem gelungenen Sprung führt, wenn der Springer nicht den optimalen Zeitpunkt für die Absprungbewegung am Schanzentisch erwischt.

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Abbildung 3: Hypothetisches Schema der antizipativen Steuerung zielgerichteten Verhaltens (Hoffmann, 1993a, S. 46).

Erweitert man den dargestellten Zusammenhang auf komplexes Bewegungsverhalten, dann zeigt sich eine sequenzielle Abfolge von Verhaltensakten, bei denen die Konsequenzen jedes Verhaltensschrittes zugleich die Ausgangsbedingungen für den folgenden Schritt darstellen. Stellen sich bei aufeinander folgenden Verhaltensakten mit hoher Verlässlichkeit die antizipierten Effekte ein, die dann die Ausgangsbedingungen für den nächsten Verhaltensakt darstellen, dann können diese zu Ereignisketten zusammengefasst werden (Greenwald, 1970; Hoffmann, 1993a; Hossner, 2004). In diesem Fall ist die Antizipation des finalen Effektes ausreichend für das sichere Erreichen des intendierten Ziels. Besteht hingegen an einigen Stellen der Ereigniskette Unsicherheit über das Erreichen der antizipierten Konsequenzen, dann sollten die tatsächlich erreichten Handlungskonsequenzen und Ausgangsbedingungen an diesen Stellen kontrolliert werden. Es entsteht hierdurch eine hierarchische Strukturierung von Effektantizipationen, wie dies in Abbildung 4 dargestellt ist. Die beiden beschriebenen Fälle lassen sich anhand der folgenden sportlichen Beispiele veranschaulichen: Beim 100m-Sprint können die einzelnen Sprintschritte als Folge von Verhaltensakten aufgefasst werden, die von erfahrenen Sprintern – bei in der Regel gleich bleibenden Umweltbedingungen – mit hoher Sicherheit ausgeführt werden können. In diesem Fall sollte die Antizipation des zu erreichenden Zieles hinreichend für das erfolgreiche Zurücklegen der Stecke sein und es ist nicht erforderlich, jeden Zwischenschritt zu antizipieren. Dagegen ergeben sich auch bei der Ausführung eines eingeübten Spielzuges wie dem Tempogegenstoß im Handball an einigen Stellen Unsicherheiten über das Erreichen der antizipierten Effekte (etwa das Fangen des Balles bei ungenauem Zuspiel) oder das Vorliegen entsprechender Ausgangsbedingungen (kann noch ein Gegenspieler die Wurfaktion behindern?). In diesem Fall ist es unumgänglich, das Erreichen der Zwischeneffekte und das Vorliegen von Ausgangsbedingungen an den Stellen erhöhter Unsicherheit zu kontrollieren. Dabei ergibt sich die angesprochene hierarchische Strukturierung der Verhaltenskette (vgl. Abbildung 4).

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Abbildung 4: Hierarchische Strukturierung von Antizipationen bei der Planung, Ausführung und Kontrolle einer Folge von Verhaltensakten beim Modell der antizipativen Verhaltenskotrolle (Hoffmann, 1993a, S. 246).

Wie lässt sich nun die Aufmerksamkeit im dargestellten theoretischen Rahmen verorten? Hoffmann (1993b) – wie auch eine Vielzahl anderer Autoren (für einen Überblick: Neumann, 1996) – unterscheidet zwischen unwillkürlicher und willkürlicher Aufmerksamkeit. Er geht davon aus, dass bei der antizipativen Verhaltenskontrolle eine unwillkürliche Lenkung der Aufmerksamkeit auf erfahrungsgemäß verhaltensrelevante Reize erfolgt. Diese unwillkürlichen Aufmerksamkeitsprozesse laufen in der Regel unbewusst ab und erwecken damit den Anschein, dass eine Bewegung „automatisch“ ausgeführt wird und dafür keine Aufmerksamkeit mehr erforderlich ist. Zusätzlich kann die Aufmerksamkeit auch willkürlich auf beliebige Handlungsaspekte gelenkt werden. Wenn also von explicit monitoring (Beilock & Carr, 2001) oder conscious processing (Masters, 1992) gesprochen wird, dann sind offensichtlich solche willkürlichen Aufmerksamkeitsprozesse gemeint. Erfolgt eine willkürliche Fokussierung der Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Bewegungsdetail – weil dies vom Trainer instruiert wurde oder weil der Athlet dies für die erfolgreiche Ausführung als wichtig erachtet – dann sollte dies die Antizipation des fokussierten Effektes implizieren und damit direkt verhaltenswirksam werden. Es erscheint plausibel, dass willkürliche Aufmerksamkeitsprozesse dann zu erfolgreichem Handeln führen, wenn sie sensorischen Konsequenzen gelten, die erfolgreiches Verhalten auch tatsächlich begleiten (vgl. Hoffmann, 1993b, S. 115).

Betrachtet man nun sportliche Fertigkeiten hinsichtlich funktionaler Aufmerksamkeitsstrategien, so lassen sich einige Folgerungen ableiten und zuvor beschriebene Ergebnisse einordnen. Dies gilt beispielsweise für die in Abschnitt 3.3.1 beschriebene könnensabhängige Wirkung der Aufmerksamkeitslenkung. Bei hochgradig geübten geschlossenen Fertigkeiten ist eine Fokussierung auf Zwischeneffekte nicht erforderlich. Zu Beginn des Lernprozesses kann es jedoch erforderlich sein, auf Zwischeneffekte zu fokussieren, um das Erreichen des finalen Effektes zu gewährleisten. Dabei ist jedoch auch zu bedenken, dass sportliche Aufgaben im Gegensatz zu vielen Alltagsfertigkeiten oft gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass das Erreichen des finalen Handlungseffekts äußerst schwierig und mit hoher Unsicherheit verbunden ist. Letztlich besteht darin der Reiz vieler sportlicher Fertigkeiten. Beispielsweise können beim Basketball kleinste Abweichungen in Abwurfgeschwindigkeit oder -winkel dazu führen, dass das Ziel nicht erreicht wird. In diesen Fällen könnte es sinnvoll sein, auf Zwischeneffekte einer Handlungskette zu fokussieren, wenn hierdurch die Unsicherheit für das Erreichen des finalen Handlungsziels verringert werden kann.

Die in den Arbeiten von Wulf (im Überblick: Wulf, 2007) propagierte Fokussierung auf zu erzielenden Effekte einer Bewegung geht ebenfalls aus dem beschriebenen theoretischen Rahmen hervor. Eine solche Fokussierung kann als Effektantizipation verstanden werden und sollte damit zur Aktivierung des motorischen Musters führen, das diesen Effekt erfahrungsgemäß herstellt. Es bleibt jedoch offen, warum die von Wulf geforderte Fokussierung auf externale Aspekte einer Bewegungsausführung (z. B. die Bewegung des Schlägers) günstiger sein sollte als die Fokussierung auf internale Aspekte (z. B. die Bewegung der Arme). In beiden Fällen erfolgt eine Fokussierung auf Zwischeneffekte einer Handlungskette. Dabei ist anzunehmen, dass bei einem internalen Fokus stärker interozeptive sensorische Informationen und bei einem externalen Fokus stärker exterozeptive sensorische Informationen antizipiert werden. Eine mögliche Ursache könnte folglich darin bestehen, dass bei vielen der untersuchten Aufgaben exterozeptive Aspekte (z. B. der raum-zeitlichen Verlauf der Bewegung) von besonderer Bedeutung sind. Möglicherweise gelingt es – insbesondere bei wenig geübten Aufgaben – auch leichter visuelle Effekte einer Bewegung zu antizipieren, als die mit der Bewegung einhergehenden interozeptiven Informationen, also das „Bewegungsgefühl“.

Negative Wirkung ausführungsbezogener Aufmerksamkeitslenkung

Bisher geht aus dem theoretischen Rahmen noch kein Mechanismus hervor, durch den sich eine Ausführungsverschlechterung ableiten lässt, wenn – ohne dass dies aufgrund erhöhter Unsicherheit erforderlich ist – eine Fokussierung auf Zwischeneffekte einer Bewegungsausführung erfolgt. Viele der vorliegenden Arbeiten zum explicit monitoring-Ansatz nennen eher allgemeine Erklärungen. Baumeister (1984) beschreibt, dass die bewusste Zuwendung zum Ausführungsprozess diesen unterbricht bzw. behindert und so die Leistung beeinflusst. Masters (1992) sowie Masters, Polman und Hammond (1993) führen eine Reihe von Autoren an, die beschreiben, dass bewusste Kontrolle die Ausführung automatisierter Fertigkeiten stört. Als Ursache wird hier die Deprozeduralisierung der automatisierten Fertigkeit oder eine Interferenz bewusster Kontrollprozesse mit automatisierten Ausführungsprozessen genannt. Beilock und Carr (2001) und Beilock et al. (2002a) nehmen an, dass die bewusste Kontrolle der Ausführung zum Aufbrechen der Kontrollstrukturen führen, die eine schnelle und flüssige Ausführung ermöglichen. Die einzelnen Ausführungseinheiten müssen dann separat aktiviert und ausgeführt werden. Dies soll einerseits zu einer Verlangsamung der Ausführung führen und andererseits dazu, dass an den „Bruchstellen“ Fehler und Ungenauigkeiten entstehen können, die bei der prozeduralisierten Ausführung nicht auftreten. Sie nehmen an, dass hierdurch die schlechteren Leistungen entstehen.

Hossner (2004) vermutet vor dem Hintergrund des oben beschriebenen theoretischen Rahmens, dass durch die Fokussierung auf Zwischeneffekte einer Handlungskette – er beschreibt diese als Knotenpunkte der Bewegungsausführung – eine erhöhte Kontrolle induziert wird. Dazu werden zwei mögliche Mechanismen vorgeschlagen. (1.) Bei Bewegungen ohne zeitliche Einschränkungen kann das Erreichen der antizipierten Effekte im fokussierten Knotenpunkt überprüft werden, indem das Eintreffen der proprio- und exterozeptiven sensorischen Informationen „abgewartet“ wird, um diese mit den antizipierten Konsequenzen zu vergleichen. Dies sollte zu einer Verlangsamung der Bewegungsausführung im fokussierten Zwischeneffekt führen. Dieser Mechanismus könnte der oft beschriebenen Beobachtung zugrunde liegen, dass die Bewegung zu Beginn des Lernprozesses wenig fließend ausgeführt und scheinbar aus Einzelbewegungen „zusammengesetzt“ wird. (2.) Als weiteren Mechanismus schlägt er eine erhöhte Kontrolle der Gelenkwinkel vor. Dazu wird die Idee „eingefrorener“ Freiheitsgrade (vgl. Abschnitt 4.1) aufgegriffen. Er nimmt an, dass eine erhöhte Kontrolle der Bewegungsausführung durch stärkere Kokontraktionen der ausführenden Muskulatur erreicht werden soll. Hossner (2004) vermutet aber auch, dass durch dieses „Versteifen“ der Gliedmaßen kompensatorische Prozesse behindert werden, die zum Erreichen hoher Genauigkeitsleistungen beitragen (vgl. Abschnitt 4.2). In zwei Untersuchungen wurde der Zusammenhang von ansteigender Muskelaktivität bei Fokussierung eines Knotenpunktes und der damit einhergehenden Abnahme verschiedener Kompensationsprozesse überprüft und bestätigt. Temporale Kompensationen – also die Abstimmung benötigter Zeitintervalle für einzelne Teilbewegungen auf das Erreichen konstanter Gesamtzeiten – standen im Mittelpunkt einer Untersuchung anhand einer Laboraufgabe (Hossner, 2004, 2002a). Dagegen wurden posturale Kompensationen – also das Ausgleichen von Abweichungen in einer Gelenkposition durch eine Haltungsanpassung in distalen Gelenken der Bewegungskette mit dem Ziel hoher Konstanz im Endglied – am Beispiel des Basketball-Freiwurfes überprüft (Hossner, 2004, 2002b). Dabei wird allerdings nicht untersucht, ob daraus auch erhöhte Streuungen der Flugkurven und schlechtere Trefferleistungen resultieren.

Mit der beschriebenen Knotenpunkt-Hypothese wird ein funktionaler Wirkmechanismus von Aufmerksamkeitslenkung auf der Ebene motorischer Kontrollprozesse beschrieben und es wird spezifiziert, wie daraus Leistungsveränderungen resultieren können. Der Ansatz erhält Unterstützung aus neueren Studien zur Wirkung ausführungsbezogener Aufmerksamkeitslenkung auf die Muskelaktivität. Vance et al. (2004) finden ebenfalls höhere Aktivitäten der Armmuskulatur bei der Lenkung der Aufmerksamkeit auf Armbewegungen unter Zusatzgewicht (Biceps-Curls) im Vergleich zur Fokussierung auf das Zusatzgewicht. Weiterhin wurden die Bewegungen unter internalen Fokusbedingungen langsamer ausgeführt, wenn die Bewegungsgeschwindigkeit freigestellt war. Auch Zachry et al. (2005) finden in ihrer Untersuchung zum Basketball-Freiwurf höhere Aktivitäten der Armmuskulatur bei internaler Fokussierung (auf die Bewegung des Handgelenkes) im Vergleich zu einem externalen Fokus (auf den Korb). Sie interpretieren die erhöhte Muskelaktivität bei der Lenkung der Aufmerksamkeit auf den Ausführungsprozess ebenfalls als Einfrieren von Freiheitsgraden.

Funktionen aufmerksamer Kontrolle

Nun wird noch einmal die Frage aufgegriffen, welche Funktionen der Aufmerksamkeitslenkung bei der Handlungskontrolle zukommen können. Dabei ist zunächst anzumerken, dass der Aufmerksamkeitsbegriff zur Beschreibung sehr unterschiedlicher Phänomene und empirischer Befunde herangezogen wird. Folglich kann nicht von einem einheitlichen Aufmerksamkeitsbegriff mit allgemeinen Mechanismen ausgegangen werden. Vielmehr liegen eine Vielzahl „lokaler“ Aufmerksamkeitstheorien mit eingeschränktem Geltungsbereich und zugehöriger funktionaler Mechanismen vor (vgl. Neumann, 1996). Eine weithin akzeptierte und in den Abschnitten 3.2 und 3.3.1 angedeutete Funktion der Aufmerksamkeit besteht in der Selektion von Umweltreizen, um ein angemessenes Verhalten in der Umwelt zu gewährleisten. Dieser Aspekt wird von Neumann (1992, 1996) als „Informationsselektion zur Handlungssteuerung“ bezeichnet.

Vor dem Hintergrund des hier entwickelten theoretischen Rahmens lassen sich weitere Annahmen über mögliche Funktionen willkürlicher Aufmerksamkeitslenkung bei der Handlungskontrolle formulieren. Eine wesentliche Funktion im Rahmen der Handlungskontrolle ergibt sich aus der Annahme, dass die Antizipation zu erzielender Bewegungseffekte zur Aktivierung der entsprechenden motorischen Aktion führt, die diese hervorbringt. Erfolgt also eine Fokussierung auf einen Bewegungsaspekt, so kann dies als Effektantizipation verstanden werden und sollte der Ansteuerung dieses Effektes dienen.

Ein weiterer funktionaler Mechanismus ergibt sich aus den Darstellungen zur hierarchischen Struktur sequenzieller Verhaltensakte in Verbindung mit den Überlegungen und Ergebnissen von Hossner (2004; siehe auch Ehrlenspiel, 2001). Danach wird durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf Zwischeneffekte einer Handlungskette überprüft, ob die antizipierten Effekte auch tatsächlich erreicht wurden und die Handlungskette fortgesetzt werden kann. Zudem wird postuliert, dass über ein Ansteigen muskulärer Kokontraktionen eine stärkere Kontrolle der Bewegungsausführung induziert wird.

Im Rahmen von Überlegungen zur Handlungskontrolle in Drucksituationen erscheint eine weitere Funktion der Aufmerksamkeitslenkung von Bedeutung, die bereits auf Hennig (1925) zurückgeht und von Neumann (1992, 1996) als „Verhaltenshemmung“ bezeichnet wird. Danach dient die Lenkung der Aufmerksamkeit auf Reize einer Handlung auch zur Hemmung konkurrierender Handlungen. Hierdurch soll beispielsweise verhindert werden, dass dieselben Effektoren zugleich für unvereinbare Aufgaben eingesetzt werden (Problem der Effektorrekrutierung) und dass versucht wird, eine intendierte Handlung auf unterschiedliche Arten auszuführen (Problem der Parameterspezifikation). Entsprechend sehen die Vertreter einer handlungsorientierten Sichtweise von Aufmerksamkeit (Allport, 1987; Neumann, 1987; van der Heijden, 1990) die sensorische Selektion – und als Folge die Begrenzung der Aufmerksamkeitskapazität – als einen funktionalen Mechanismus, um koordiniertes Handeln zu gewährleisten. Empirische Hinweise für diese verhaltenshemmende Funktion ergeben sich z. B. daraus, dass die auf unerwartete Reize folgende Orientierungsreaktion während einer Handlungsausführung weniger stark ausgeprägt ist (vgl. Neumann, 1992). Damit lässt sich die Brücke zu einem weiteren Phänomen schlagen, das häufig als inattentional blindness bezeichnet wird. Hierbei zeigt sich, dass durch die Aufmerksamkeitslenkung auf eine Aufgabe andere gleichzeitig ablaufende Handlungen häufig nicht bewusst wahrgenommen werden. Beispielsweise hatten die Versuchspersonen in einer Studie von Simons und Chabris (1999) die Aufgabe, zwei Dreierteams beim Passen eines Balles zu beobachten und die Anzahl der Pässe eines der Teams zu zählen. Viele Versuchspersonen bemerkten dabei nicht, dass während der Aufgabe eine als Gorilla verkleidete Person ins Bild lief und sich zwischen den Spielern bewegte. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf eine Bewegungsaufgabe auch der Abschirmung vor konkurrierenden Reizen dient. Dies könnte gerade in Wettkampfsituationen von Bedeutung sein, um etwa störende Zuschauereinflüsse zu verringern oder negative Gedanken über mögliche Konsequenzen der eigenen Leistungen zu verhindern.


>> Aufmerksamkeitslenkung in Drucksituationen

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