Darts-Idol Raymond van Barneveld

Vom emsigen Postboten zum Weltklassedarter

BARNEY WIRD IMMER EIN HELD BLEIBEN


Anfang 2009 musste Raymond van Barneveld einsehen: „Nicht ich, sondern Phil Taylor ist der Allerbeste“. Die damit einhergehende Enttäuschung lässt ihn bis heute nicht los. Doch deshalb ist er noch lange nicht der Griesgram, den manche in ihm sehen wollen. Barney, der alte Darts-Held, verdient Respekt.

Die erste WM der British Darts Organisation (BDO) fand 1978 statt. Im Finale der „World Embassy“ (das Turnier wurde von einer Zigarettenmarke gesponsert) standen sich der Waliser Leighton Rees und der Engländer John Lowe gegenüber. Rees gewann mit einem Average von 92,40 Punkten, Lowe kam auf 89,40.

1985

Holland war Anfang der Achtzigerjahre noch nicht im Darts-Fieber. Mancherorts hing zwar ein Dartboard an der Wand, doch so wie die Engländer diesen Sport betrieben? Inmitten von Opas und Enkeln, die ihre eigenen Dartpfeile mit in die Kneipe brachten? Nicht wirklich. Naja, in Den Haag vielleicht ansatzweise.

Um populär zu werden, braucht jede Sportart eine herausragende Persönlichkeit, ein Phänomen, das geliebt und gehasst wird. Für Darts war dies Eric Bristow, ein arrogant wirkender Engländer mit einem geschmeidigen Wurfstil. „The Crafty Cockney“ gewann die „Embassy“ in den Jahren 1980, 1981, 1984, 1985 und 1986. Raymond van Barneveld war damals ein schüchterner, pickeliger Jugendlicher. Er kam im Den Haager Arbeiterviertel Transvaal zur Welt, wo er bis zu seinem neunten Lebensjahr eine glückliche Kindheit verbrachte, auch wenn das Geld oft knapp war. Als seine Familie in die Innenstadt zog, verlor Raymond seine Freunde aus den Augen und sonderte sich immer mehr ab. Er wurde ein schüchterner, verlegener Junge, der nur selten seinen Mund aufmachte und leicht zu verunsichern war. Daher spielte er lieber stundenlang alleine in seiner Dachkammer Darts. Oder freitagabends im „De Entertainer“, der Stammkneipe seines Vaters. Er hatte eine Veranlagung für dieses Spiel und gewann 1984 im zarten Alter von 17 Jahren die „Rotterdam Open“. Er war plötzlich wer. Durch Darts!

Familie van Barneveld bekam 1985 Kabelfernsehen. Raymond: „Ich guckte zum ersten Mal Darts bei der BBC, das Embassy-Finale Bristow gegen Lowe. Als ich Bristow sah, dachte ich: Wow, so will ich auch sein!“ Wahrscheinlich war Barney vom schillernden, selbstbewussten Bristow so begeistert, weil der Brite wie ein Gegenentwurf zum jungen Holländer wirkte.

1991

Van Barneveld erreichte seine ersten Finals und erregte Aufmerksamkeit, wie z.B. bei der EM gegen den sieben Jahre älteren Phil Taylor. Raymond verlor mit 2:4, nachdem er vier Darts zum 3:3 verpasste und fiel den Offiziellen der BDO auf. „Sie hatten mich gegen Phil spielen sehen. Weil Darts auch außerhalb von England einen Boom erleben sollte, wurden manchmal Wildcards an ausländische Spieler vergeben. Bert Vlaardingerbroek, der ebenfalls aus Den Haag kommt und mit dem ich häufig gespielt habe, scheiterte dreimal hintereinander in der ersten Runde. Unser Verbandstrainer Gerard Beekmans sagte mir, dass sie mir eine Wildcard geben wollten. Es dauerte eine Weile, bis ich das begriffen hatte.“

Seine erste „Embassy“-Teilnahme endete in einem Fiasko. „Ich war mit allem beschäftigt, nur nicht mit Darts. Total verunsichert, weil ich nicht wusste, was die Leute dort von mir erwarteten. Und in Holland meinten einige Darts-Spieler zu mir, dass die Wildcard eigentlich Bert zustehen würde und ich dort nichts zu suchen hätte. Nachdem ich chancenlos mit 0:3 gegen den Australier Keith Sullivan unterging, war ich auf der Heimreise völlig verzweifelt. Das war’s also, dachte ich.“

Im darauffolgenden Jahr konnte sich van Barneveld nicht qualifizieren. Die Wildcard blieb aus. Er schien sich auf ein Leben als Briefträger einstellen zu müssen. Taylor gewann die „Embassy“ übrigens in den Jahren 1990 und 1992 und gründete anschließend mit einigen anderen Top-Spielern einen eigenen Verband, die Professional Darts Corporation (PDC). Doch halt, das ist eine andere Geschichte.

1993 gewann van Barneveld sein Erstrundenmatch bei der „Embassy“, wodurch er der erste Niederländer wurde, der eine Begegnung vor Fernsehkameras für sich entscheiden konnte. In der zweiten Runde verlor er gegen John Lowe, der zum dritten Mal Weltmeister werden sollte. Van Barneveld spielte gut, warf ein 170er-Finish, schied aber mit 2:3 aus. 1994 konnte er sich nicht qualifizieren, 1995 stand er zum ersten Mal im Finale, in dem er gegen den Waliser Richie Burnett mit 3:6 den Kürzeren zog. Der Niederländer kletterte in der Rangliste, gewann hin und wieder ein Turnier und fuhr 1996 mit hohen Erwartungen zur „Embassy“, wo er jedoch als Nummer 5 der Setzliste in der zweiten Runde gegen Matt Clark verlor. Van Barneveld blieb der emsige Postbote, der das Pfeilewerfen so gerne zu seinem Beruf machen wollte und zusehen musste, wie sich dieser Traum langsam in Luft auflöste. Bis 1998, als er 31 Jahre alt war.

1998

Raymond van Barneveld mit seinem Kniefall zum ersten Weltmeistertitel

Wumm! Doppel-8.

Weinend verbarg Raymond van Barneveld sein Gesicht in den Händen und sank auf die Knie. Endlich hatte er es geschafft, er war der erste holländische Darts-Weltmeister. Zudem der erste nicht-englischsprachige Champion. Das Finale war furchtbar spannend, er besiegte Richie Burnett mit 6:5. Etwa eine halbe Million Fernsehzuschauer in den Niederlanden bejubelten ihren Landsmann, der sich seinen Traum erfüllt hatte.

Verabredung zu einem Interview für die Weihnachtsausgabe der Zeitschrift „Sportweek“ mit dem Sieger von 1998. Van Barneveld gab am Telefon die Wegbeschreibung durch: „Hauptbahnhof Den Haag, Haupteingang, links, immer geradeaus, dritte Straße rechts, Nummer 22. Am Briefkasten hängt eine Schnur. Bitte vorher anklingeln.“

Dort wohnte er zusammen mit seiner Frau Silvia und den beiden Kindern, die sie mit in die Ehe gebracht hatte. Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Patty im Jahr 1994 war die Familie komplett. Bis 1998 lebten die von Barnevelds von dem Gehalt, das Raymond als Postzusteller verdiente. Van Barneveld: „Ich hab mal mit Silvia so ‘ne Fernsehshow geguckt. Ihr wisst schon: Segeljachten, Traumhäuser, tolle Autos. Ich meinte zu ihr: ‚Ach, könnten wir uns das doch auch leisten!’ Daraufhin sagte sie: ‚Nur du kannst es uns ermöglichen mit deinem goldenen Händchen’. Dabei war ich kurz davor, das Dartspielen aufzugeben. Die ganzen Mühen schienen umsonst gewesen zu sein. Also wieder jeden Tag raus in den Regen, die Post austragen. Als ich auf dem Flughafen Schiphol landete, wusste ich, dass ich nie mehr als Briefträger arbeiten musste.“ Van Barneveld hängte seinen Beruf an den Nagel und ging stattdessen zu Einweihungen, unterhielt sich mit Leuten wie Ruud Gullit und den Zwillingsbrüdern de Boer und ließ sich seine Teilnahme an einem Darts-Schaukampf mit 2950 Gulden plus Mehrwertsteuer vergüten. Durch Darts war er berühmt geworden und musste nicht mehr in aller Frühe aufstehen. Er leistete sich ein richtiges Haus. „Auf unserem Grundstück!“

Darts wurde zum Fernsehspektakel. Seine Landsleute trugen Barney ein Jahr später zu seinem zweiten WM-Titel. Gut vier Millionen TV-Zuschauer verfolgten den 6:5-Sieg gegen Ronnie „The Rocket“ Baxter. Van Barneveld wurde zum Volkshelden. Die „Barneymania“ brach aus, an manchen Tagen spielte er drei Exhibitions hintereinander, Telegramme mit Glückwünschen der Königin und von Marco van Basten trudelten ein, er wurde zum Ritter geschlagen und zum Ehrenbürger von Den Haag ernannt, Briefmarken mit seinem Konterfei kamen auf den Markt und in den Garten seines Hauses ließ er einen Whirlpool bauen.

2003

Kurz vor der WM 2000 regte sich Barney darüber auf, dass irgendjemand demjenigen eine Flasche Champagner versprochen hatte, der ihn aus dem Turnier werfen würde. Zudem witterte er eine Verschwörung, weil sich die Suche nach einem Hotelzimmer extrem schwierig gestaltete. Groll kam auf, der eine tiefere Ursache hatte. Van Barneveld verlor in der ersten Runde gegen Chris Mason. Zuvor hatte er jedoch in einer Art Prestige-Match zwischen dem PDC- und dem BDO-Weltmeister eine Tracht Prügel von Phil Taylor kassiert, der nach seinen beiden Titeln bei der BDO mittlerweile fünffacher Weltmeister bei einem Verband war, der in Holland nicht im Fernsehen lief. Der große Meister aus Stoke-on-Trent hatte Zweifel gesät und somit den wunden Punkt seines Rivalen getroffen: Barneys Unsicherheit. Die unterschwellige Enttäuschung über seine Niederlage zeigte sich in merkwürdigen Antworten auf die Frage nach Gründen, die Barney anderswo suchte. Nach seiner Niederlage gegen Mason: „Ich bin ein Arschloch, ein Loser, und ich habe immer noch keinen Respekt vor Mason.“

Ein weiteres Beispiel: 2002, WM-Aus gegen Mervyn King. „Warum wirft der King denn ausgerechnet gegen mich so, als würde er von einem anderen Stern kommen? Ich darf einfach keine Fehler machen, auf die eine oder andere Weise wollen sie mich alle kriegen.“ Selbst als der „Dartsvalley“-Redakteur in Barneys Trainingsraum zufällig eine 180 warf: „Das gibt’s nicht! Sag nicht, du kannst auch darten? Jesus, Maria...“ Wahre Gewinner sind halt schlechte Verlierer.

Als sein Hauptsponsor Brandstaff die Zusammenarbeit beendete, brach Barney mental ein, von 2000 bis 2003 gelang ihm zu wenig für seine Begabung. Er versuchte es mit Physiotherapien, Saunagängen, Jogging, Akupunktur, anderen Schäften, Barrels und Flights. Es wurde eine lange Suche. Nach einer Antwort, die sich schon in seinem Kopf befand.

Es sollte bis 2003 dauern, bis er wieder zu seiner Form fand. Vielleicht hatte er Taylor für kurze Zeit vergessen. Bei der „Embassy“ war er die Nummer 2 der Setzliste und hatte sich den dritten Titel vorgenommen, der ihm durch einen 6:3-Sieg im Finale gegen Ritchie Davies auch gelang. Van Barneveld gewann anschließend alle großen BDO-Turniere bis auf das „Winmau World Masters“, wo er ein paar Matchdarts gegen Tony West verpasste (6:7). 2004 warf er in seiner Partie gegen John Walton einen Average von 104 Punkten, doch im Halbfinale hatte Publikumsliebling Andy Fordham, der anschließend den Titel holte, das Momentum auf seiner Seite. Man sah Barney frustriert grübeln: „Was denn nun schon wieder?“ Doch 2005 holte er sich durch einen 6:2-Sieg über Martin Adams seine vierte Weltmeisterschaft. Ihm fehlte nur noch ein WM-Titel, um mit Eric Bristow, dem Idol seiner Jugend, gleichzuziehen.

2006

Kurz vor der WM 2006 bekam Barney beim „Masters of Darts“ im niederländischen Hengelo, an dem Spieler aus beiden Verbänden teilnahmen, wieder einmal Dresche von Taylor. Barney wirkte nach diesem erneuten Beweis für seine Unterlegenheit stur wie nie zuvor. „Nicht einmal im Traum“ dachte er ans Aufgeben, sondern wechselte die Ausrüstung und legte sich einen neuen Manager und Mentaltrainer zu.

In der Zwischenzeit war der Hype um Darts merklich abgeflaut. Die Kenner wussten, dass Taylor im anderen Verband besser war und das breite Publikum glaubte dies allmählich auch, wenn es Andy „The Viking“ Fordham und Ted Hankey mit seinen Plastikfledermäusen sah. Zudem brachte der Fernsehsender SBS6 zur besten Sendezeit immer öfter dieselben schwitzenden Kolosse. In den Niederlanden machte sich eine gewisse Darts-Müdigkeit breit.

Barney jammerte noch lauter, fürchtete Einkommensverluste, ihm spukte sein altes Postfahrrad im Kopf herum. „Ich habe inzwischen so viel beiseite gelegt, dass ich drei bis fünf Jahre über die Runden kommen kann. Ich hoffe nicht, dass ich jemals wieder Briefe austragen muss. Obwohl ich andererseits zugeben muss, dass ich die sozialen Kontakte vermisse. Ich sitze die ganze Zeit zuhause, gucke Fernsehen, kurz ins Fitnessstudio, dann wieder ein paar Pfeile werfen... Es fehlt eine klare Linie.“

Raymond van Barneveld in Las Vegas 2007

Zudem galt er nicht unbedingt als Sympathieträger. Häufig sonderte er sich ab, genau wie der kleine Junge in seiner Dachkammer. „Man sagt, dass ich verschlossen bin, weil ich auf dem Hotelzimmer hocke. Doch ich kann es nicht leiden, wenn da so ein paar Schotten rumsitzen und saufen und grölen. Da schaue ich mir lieber eine DVD an. Ich bin nicht wie Co Stompe, der den ganzen Tag zusammen mit den Fans feiert. Ob Co dadurch beliebter ist? Glaube ich nicht. Mit meiner Trophäensammlung kann er es jedenfalls nicht aufnehmen, ich bin der Johan Cruyff des Dartsports.“

Doch die Fans wurden langsam ein bisschen Barney-müde. Der frische, 21-jährige Qualifikant Jelle Klaasen kam daher wie gerufen. Der schlaksige Jungspund zog 2006 überraschend ins „Embassy“-Finale ein und war dort Publikumsliebling, was Finalgegner Barney zu der Vermutung hinreißen ließ, dass ihm nichts gegönnt wurde. Das brachte ihn aus dem Konzept. Oje, da war sie wieder, diese Unsicherheit...

Klaasen stürzte den wankenden van Barneveld vom Thron. Nach dem Ende der Partie erwies sich Barney als schlechter Verlierer. Mürrisch ließ er verlauten: „Ich hab alles erreicht, bis auf eine Sache: den fünften Embassy-Titel. Daran werde ich ewig zu knabbern haben. Ich habe es nicht geschafft, mit Bristow gleichzuziehen, weil ich gegen dreitausend Mann im Saal und einen auf der Bühne antreten musste. Alle waren gegen mich. Wenn ich ein Leg holte, hörte man zwölf Zuschauer applaudieren, das waren die Leute an meinem Tisch. Wenn Jelle zum Leggewinn traf, bebte der ganze Saal.“

Raymond van Barneveld und Barry Hearn bei der Vereinbarung zum PDC-Wechsel

2007

Nach seiner Niederlage gegen Klaasen beschloss Barney, seinem größten Widersacher auf den Leib zu rücken und wechselte zur PDC. „Weil ich es nicht ertragen würde, wenn ich mich eines Tages fragen muss, wer besser war: Taylor oder ich.“ Nach seinem Wechsel nannte van Barneveld drei Ziele, die er sich gesetzt hatte: Einen Neundarter vor Fernsehkameras, Taylor besiegen und Weltmeister werden. Daran hielt er sich. 2007 schlug er Taylor im WM-Finale mit 7:6. Van Barneveld schien den Kampf endlich anzunehmen.

Raymond van Barneveld PDC Darts Weltmeister

Es sollte eine harte Probe werden. Taylor verkündete direkt nach seiner Niederlage: „Jahrelang lastete alles bei der PDC auf meinen Schultern, Raymond befreite mich von diesem Druck. Und für den Sport ist es gut, denn dadurch werden wir beide bestimmt nicht schlechter. Ich habe wieder ein Ziel vor Augen. Ich will mir den Titel zurückholen.“

2009

Taylor legte einen Zahn zu, steigerte sein Training und fegte van Barneveld im Finale der WM 2009 mit 7:1 und einem knapp 111er-Average von der Bühne, wobei Barney 101,18 Punkte gelangen. Man vergleiche diese Werte übrigens mal eben mit denen am Anfang dieser Story.

Raymond van Barneveld und Phil Taylor: Rivalen am Dartsboard

Es war der Gnadenstoß für van Barneveld, er brach zusammen und musste eingestehen: „Phil ist besser als ich, der beste Darter aller Zeiten. Wenn ich realistisch bin, müsste ich jetzt eigentlich aufhören, denn was für einen Sinn hat es noch, wenn man nicht gewinnen kann? Tief in meinem Inneren weiß ich, dass ich nicht der Beste bin. Dabei ist das Gefühl, der Beste zu sein, das Einzige, was für mich zählt. Doch so wie es jetzt aussieht, werde ich wohl nur noch darten, weil die Firma Barney weiterlaufen muss. Und auch das wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer problematischer. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will.“

Raymond van Barneveld und Phil Taylor - die Krönung des Dartsports

Doch welche Alternative hatte er? Der niederländische Darts-Held von einst stand in der Rangliste noch hoch genug, um an Majorturnieren und Weltmeisterschaften teilnehmen zu können, auch wenn er drei Jahre lang kaum ein Turnier gewann. Darts wurde für ihn zur reinen Erwerbstätigkeit.

2012

Die grüne Gefahr tauchte auf. Es ist recht amüsant, alte Interviews zu lesen. Michael van Gerwen im Jahr 2012: „Zurzeit gibt es Phil Taylor und dann kommt der Rest. Von den Verfolgern sind Raymond, James Wade und Mervyn King wahrscheinlich die Besten. Sie sind also ‚the best of the rest’. Ich hab durchaus den Eindruck, dass Raymond mental wieder der Alte ist, das sah bis vor ein paar Wochen noch ganz anders aus. Und was mich angeht? Ich bin froh, dass ich bei der WM in der ersten Runde nicht gegen Taylor antreten muss.“

Van Gerwen schaffte den Durchbruch, Taylor war immer noch gut genug und auch Adrian Lewis, James Wade und Gary Anderson setzten sich in der Weltspitze fest. Barney fügte sich der Realität. In den Spielen gegen die „Top Guns“ wurde er allmählich zum sympathischen Underdog, eine Rolle, die ihm liegen sollte. Nach Jahren des inneren Kampfes erlebte er plötzlich wieder ein paar Highlights. 2012 gewann er sein erstes TV-Turnier seit fünf Jahren und bei der WM 2013 stieß er, bedingt durch ein neues Trainingsprogramm, mit hohen Averages bis ins Halbfinale vor. Dort erstarrte er im Angesicht seines Gegners: Phil Taylor. Barney verlor und fiel anschließend in der Weltrangliste zurück. Auch wenn der Gewinn der Premier League 2014 noch einmal ein toller Erfolg war.

Worüber er sich aufregen kann? „Kürzlich rief mich jemand an und fragte, ob ich für ein paar Fernsehaufzeichnungen zur Verfügung stehen würde. Ich sagte: ‚Na klar, kommt ruhig vorbei.’ ‚Naja’, meinte der Typ, ‚Michael van Gerwen ist auch dabei, also drehen wir in Eindhoven. Kannst du nicht mal eben dorthin kommen?’ Das war früher anders, oder?“

2016

Van Barneveld machte einen zunehmend müderen Eindruck, den er mit seiner Zuckerkrankheit begründete. Bei der WM 2016 spielte er eigentlich sehr gut, gewann sogar gegen van Gerwen, bevor er im Halbfinale gegen Adrian Lewis, ebenfalls aus Stoke, die Segel streichen musste. Nach dieser Niederlage wirkte er beinahe erleichtert. Es hatte keinen Sinn mehr. Er wollte zu seinem neugeborenen Enkelkind. Bloß schnell weg. Für jemanden, der nur auf eine Niederlage wartete, spielte er übrigens hervorragend.

Dass Barney weiterhin mehr mit sich selbst beschäftigt war, wurde im Mai 2016 am ersten Premier League-Spieltag auf niederländischem Boden in Rotterdam deutlich. Die Show war innerhalb weniger Minuten ausverkauft, Darts war wieder groß im Kommen. Am Tag vor der Veranstaltung rückten Heerscharen von Presseleuten an, um van Barneveld und van Gerwen zu befragen. Eine tolle Sache, sollte man meinen. Doch in einem Interview stöhnte Barney: „Mir geht es momentan gar nicht gut. Diabetes, die vielen Reisen. Ich bin am Ausprobieren wie wild, doch nichts will so richtig klappen. Und dann die ganzen Turniere, puh!“

Am nächsten Tag spielte er gegen Peter Wright. Vor Beginn der Partie wurde Barney von 8000 Fans minutenlang mit frenetischem Beifall bedacht. Er ließ die Ovationen über sich ergehen, teilte sich mit Wright die Punkte in einer Partie, die keine Rolle mehr spielte, und beklagte sich unmittelbar nach Spielende über eine Tür, die offenstand. „Ja, das hat mich natürlich gestört. Durchzug. Und das sage ich dann auch.“ Wieder einmal stand er sich selbst im Weg. „Ja, hör mal, ich kann auch so tun, als würde ich das alles toll finden und als ob mich das nicht stören würde, aber so bin ich nun mal nicht. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, mich zu zügeln, ich habe gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Doch tief in meinem Inneren nagen diese Dinge an mir, weil ich halt ein Siegertyp bin.“

Raymond van Barneveld, Michael van Gerwen und Vincent van der Voort

Hast du denn die ganzen Leute nicht gehört, Raymond?
Als würde er aus einer Art Trance erwachen:
„Ja klar... War schön. Das macht schon was mit einem.“
Was genau?
„Ja, Gänsehaut natürlich.“
Du klingst ja beinahe depressiv.
„Vielleicht bin ich das wirklich ein bisschen.“

Raymond van Barneveld präsentiert sein neues Dartshirt

2017

In diesem Jahr feiert der alte Darts-Held seinen 50. Geburtstag. Er ist schon seit einiger Zeit nicht mehr der Beste und er weiß es. Das erklärt auch, warum er beim Spielen oft missmutig und manchmal sogar teilnahmslos wirkt. Er will nicht nur dabei sein, sondern gewinnen! Gerüchte besagen, dass er sich einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten gegeben hat. 2017 will er alle Turniere bestreiten. Konstanter werden. Zu seinem wahren Leistungsvermögen zurückfinden. Und dann auf den Tag hoffen, an dem er wieder auf sein „Eye of the Tiger“ zählen kann.

Oh Mann, was wär‘ das für eine Geschichte: ‚Champion of the Woooorld... Raaaymooooond! Barney! Van! Barneyveeeeeeld...’ Und dann noch einmal die Arme hochreißen, noch einmal diesen Urschrei, noch einmal die riesige Trophäe in die Luft strecken, noch einmal dieses glückselige, verheulte Gesicht. Von diesem Jungen, der immer so unsicher war und dennoch alle überrascht hat.

Raymond van Barneveld: Everything is possible

Text: Remco Regterschot
Übersetzung: Martin Rönnberg

Raymond van Barneveld Porträt
Raymond van Barneveld Interview 1
Raymond van Barneveld Interview 2
Raymond van Barneveld Premier League Porträt


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